Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Montag, 2. Mai 2016

Guardia, ladro e cameriera (Nachtwächter, Dieb und Dienstmädchen) 1958 Steno

Inhalt: In wenigen Stunden beginnt das neue Jahr und die Römer freuen sich schon auf die Feierlichkeiten. Einzig Otello Cucchiaroni (Nino Manfredi) hat noch keine Ahnung, wohin er gehen soll, denn selbst die Bar, in der er sich sonst die Zeit vertreibt, schließt an diesem Abend. Und da er notorisch pleite ist, nimmt ihn Niemand mit zu einer der vielen Partys. Notgedrungen schließt er sich deshalb Franco (Marco Guglielmi) und Angelino (Giampiero Littera) an, die die Abwesenheit wohlhabender Römer nutzen wollen, um in deren Wohnung einzusteigen. Den Plan hat der „Professor“ (Mario Caretonuto) ersonnen, der dafür einen geschickten Fassadenkletterer benötigt. Den Job soll Otello übernehmen.

Aus demselben Grund verzichtete auch Amerigo Zappitelli (Fausto Cigliano) auf Alkohol und Party, denn der ehrgeizige Polizist weiß, dass die Gauner den allgemeinen Trubel für ihre Zwecke nutzen wollen. Als er Hilfeschreie aus einem Wohnhaus vernimmt, zögert er nicht lange um einzugreifen. Das Dienstmädchen Adalgisa Pellicciotti (Gabriella Pallotta) hatte ihren Schrei inzwischen bereut, nachdem der ungeschickte Einbrecher Otello ihr seine Situation erklärt hatte, kann aber nicht mehr verhindern, dass der Wächter die Wohnung durchsuchen will…


Hilfe, die Diebe kommen !

"Il professore" (Mario Carotenuto) kassiert für seinen Plan
"Gauner-Komödien" gehören schon lange zum Kino-Alltag. In der Regel plant eine zusammengewürfelte Gruppe den ganz großen Coup - entweder um sich ein sorgenfreies Leben zu bescheren oder einem echten Bösewicht zu schaden. Oft beides zusammen, denn die moralischen Regeln werden durch die Identifikation mit den Kriminellen keineswegs außer Kraft gesetzt. Diese gehen selbstverständlich gewaltfrei vor, sind im Vergleich zu ihrem Gegner harmlose Gesellen und nicht selten stehen sie selbst am Ende mit leeren Händen da - arm, aber cool. Als Geburtsstunde dieser Spezies gilt Mario Monicellis „I soliti ignoti“ (Diebe haben`s schwer, 1958), der Jules Dessins dramatische Version eines raffinierten Einbruchs „Rififi“ (1956) in die römische Realität Kleinkrimineller transferierte, die versuchten ihrer Armut und Perspektivlosigkeit zu entkommen. Kombiniert mit einer humorvollen Anlage ließen sich so soziale Missstände unterhaltsam auf die Kinoleinwand bringen – signifikant für die „Commedia all’italiana“.

Franco (Marco Guglielmi) und Angelino (Giampiero Littera) überreden Otello
Der Ursprung dieser besonderen italienischen Vorliebe für den Typus „Dieb“ lässt sich im „Neorealismus“ finden. In „Ladri di biciclette“ (Fahrraddiebe, 1948) beschrieb Vittorio de Sica die dramatischen Konsequenzen eines Fahrraddiebstahls. Aus Verzweiflung wird der Protagonist am Ende selbst zum Dieb und sieht sich der öffentlichen Empörung ausgesetzt. De Sicas generellem Ansatz ließ das Regie-Duo Mario Monicelli und Steno in „Guardie e ladri“ (Räuber und Gendarm, 1951) einen spezifisch italienischen Blickwinkel folgen. Vor dem Hintergrund einer prekären wirtschaftlichen Situation schickten sie die Komödianten Totò und Aldo Fabrizi als Dieb und Polizist aufeinander los. Mit dem Ergebnis, dass sie mehr einte als trennte. Tricksen und Organisieren gehörte zum Alltag einer Bevölkerung, der nach dem Kriegsende das Nötigste fehlte – der kleine Dieb oder Gauner, der ums eigene Überleben kämpfte, wurde zu einer Sympathiefigur.

Der deutsche Graf (Luciano Salce) will das echte römische Nachtleben
Totò variierte diese Rolle in den 50er Jahren noch mehrfach. Konkret in „I tre ladri“ (Gaunerparade, 1954) und als Geldfälscher in „La banda degli onesti“ (Die Bande der Ehrlichen, 1956), oder auch unterschwellig in „Totò all’inferno“ (Totò in der Unterwelt, 1955), in dem er sich als erfolgloser Dieb zu Beginn das Leben nehmen will. Auch in „I soliti ignoti“ mimte er noch einmal einen alternden Geldschrankknacker, wirkte aber nicht an dem geplanten Coup mit. Ende der 50er Jahre erlebte der „Dieb“ im italienischen Kino eine Renaissance, obwohl sich dessen Bild zu wandeln begann. In „Parola di Ladro“ (Mit Melone und Glacéhandschuhen, 1957), „Ladro lui, ladra lei“ (Dieb hin, Dieb her, 1958) oder „I ladri“ (Jeder Dieb braucht ein Alibi, 1959) ging es weniger um die nackte Existenz wie in der Nachkriegszeit, sondern mehr um die Teilhabe an der fortschreitenden wirtschaftlichen Prosperität. Die Legitimation für die Gaunereien entstand aus der zunehmend größer werdenden Schere zwischen arm und reich.

Räuber und Gendarm: Otello (Nino Manfredi) und Amerigo (Fausto Cigliano)
Dieser Entwicklungsschritt lässt sich auch in Stenos Werk nachvollziehen, zumal Lucio Fulci und Sandro Continenza jeweils unmittelbar daran beteiligt waren. In ihrer letzten im Kleinkriminellen-Milieu spielenden Komödie „Un giorno in pretura“ (wörtlich: „Ein Tag vor Gericht“, deutscher Titel „Drei Sünderinnen“, 1954) nach einem gemeinsamen Drehbuch interessierten sie sich noch für die Schicksale der „I soliti ignoti“ (üblichen Verdächtigen), wie ein eingeblendeter Text zu Beginn betonte. In drei Episoden betrachteten sie die alltäglichen Umstände, unter denen diese mit dem Staat in Konflikt gerieten. Scheinbar legte auch „Guardia, ladro e camereria“ (Nachtwächter, Dieb und Dienstmädchen) sein Gewicht auf drei Prototypen, aber der Filmtitel verstand sich als ironischer Kommentar auf „Guardie e ladri“. Das Dienstmädchen störte das Gleichgewicht zwischen Gesetzeshüter und Gesetzesbrecher. Zudem verschwand der generalisierende Plural aus „Guardie e ladri“, der die Gemeinsamkeiten und Solidarität untereinander betonen sollte – beides hatte sich Ende der 50er Jahre erledigt.

Tatsächlich bevölkern in „Guardia, ladro e camereria“ eine Menge Gauner die Szenerie, aber der Dieb, auf den der Filmtitel anspielte, ist nur ein harmloser Zeitgenosse, der eher unfreiwillig zum Einbrecher wird. Sein Charakter besäße noch Gemeinsamkeiten mit den armen Schluckern der Nachkriegszeit, ginge es bei Otello Cucchiaroni (Nino Manfredi) ums Überleben. Dass er sich Franco (Marco Guglielmi) und Angelino (Giampiero Littera) anschließt, um ein „sicheres Ding“ zu drehen, ist nur der Notlage zu verdanken, aus finanziellen Gründen nicht an den Silvester-Feierlichkeiten teilnehmen zu können. Manfredi gab gewohnt überzeugend den so charmanten, wie abgebrannten Aufschneider, der das Interesse der Gauner weckt, weil er mit seinen angeblichen Flieger-Erfahrungen aus dem Krieg angegeben hatte. Das qualifiziert ihn in deren Augen als Ersatzmann für einen frisch inhaftierten Fassadenkletterer, aber als Otello erblickt, in welchen Höhen er in das angeblich verlassene Appartement eines reichen Grafen (im Original „Conte tedesco“ (deutscher Graf), schön arrogant gespielt von Regisseur Luciano Salce) eindringen soll, bekommt er Fluchtgedanken.

Bei der Stimme kann Adalgisa (Gabriella Pallotta) nicht widerstehen
Zu spät, denn die Leitung des Unternehmens hatte inzwischen der „Professor“ (Mario Carotenuto) übernommen, der keinen Rückzieher zuließ. Ihm war der „todsichere“ Plan zu verdanken, für den Franco und Angelino im Voraus bezahlen mussten – eine Geschäftstüchtigkeit, die jeden Gedanken an Räuber-Romantik austrieb. Schon die Besetzung mit Mario Carotenuto als selbstgefälligem „Master-Mind“ lässt deutlich werden, dass die Sympathien hier nicht auf der Seite der Gauner lagen, sondern einzig bei Otello, der in der Wohnung des Grafen auf das Dienstmädchen Adalgisa Pellicciotti (Gabriella Pallotta) trifft, mit der er schnell warm wird. Käme ihm nicht der eifrige Schutzmann Amerigo Zappitelli (Fausto Cigliano) in die Quere, der seine Pflichten auch an Silvester nicht vernachlässigt und besonders gern gefährdeten jungen Frauen zu Hilfe kommt. Sehr autoritär geht er dabei nicht vor, sondern überzeugt mehr mit seiner samtenen Gesangs-Stimme. Der bekannte italienische Sänger Fausto Cigliano verlieh der Auseinandersetzung Dieb / Polizist mit einer seiner seltenen Filmrollen eine zusätzliche ironische Komponente.

Klassenlose Gesellschaft an Silvester
Entsprechend spielte die reale Situation der Protagonisten in „Guardia, ladro e camereria“ nur eine Nebenrolle. Die Gaunerbande um den „Professor“ besteht aus wenig ernstzunehmenden Trotteln und das Dreieck Schutzmann, Dieb und Dienstmädchen interessierte mehr in amouröser Hinsicht. Im Mittelpunkt stand eine feiernde römische Gesellschaft, deren demonstrativ solidarische Ausgelassenheit angesichts zementierter Klassenzugehörigkeit und Doppelmoral oberflächlich und verlogen ist. Gemessen an Monicellis parallel erschienenem „I soliti ignoti“ blieb der gesellschaftskritische Aspekt aber zurückhaltend, lag das Schwergewicht des Films auf einem Mix aus Gauner- und Liebeskomödie mit abschließendem Happy-End - garniert mit Gesangsnummern, die an Lucio Fulcis Engagement im Musik-Film erinnerten („La ragazza di Via Veneto“, 1955). Es blieb ein sympathischer Beinahe-Dieb, dessen Charakterisierung signifikant für den sich wandelnden Typus des kleinen Gauners im 50er Jahre-Film stand.

"Guardia, ladro e camariera" Italien 1958, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Lucio Fulci, Sandro Continenza, Darsteller : Nino Manfredi, Gabriella Pallotta, Fausto Cigliano, Mario Carotenuto, Luciano Salce, Marco Guglielmi, Bice Valori, Laufzeit : 93 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Steno:

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.