Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Samstag, 23. Februar 2013

In nome della legge (Im Namen des Gesetzes) 1949 Pietro Germi


Inhalt: Sizilien, kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs - zwei Männer überfallen eine von zwei Eseln gezogene Kutsche. Sie wollen nur die zwei Tiere, aber als der Kutscher einen von ihnen erkennt, sehen sie sich gezwungen, ihn zu erschießen. Der Baron (Camillo Mastrocinque) ist erbost über den Verlust seiner Esel, schaltet aber nicht die Polizei ein, sondern wendet sich an Turi Passalacqua (Charles Vanel), über den alle wichtigen Entscheidungen laufen. Als der junge Richter Guido Schiavi (Massimo Girotti) seinen Dienst in dem kleinen Ort antritt, der inmitten einer wüstenähnlichen, kargen Landschaft liegt, versucht er sogleich, die Fälle zu ordnen und staatliches Recht auszuüben. 

Doch als die Leiche eines der beiden Räuber gefunden wird, gerät er schnell an die Grenzen seiner Bestrebungen. Jeder hält dessen Tod für gerechtfertigt, denn er hatte gegen den Kodex der Menschen hier verstoßen, dessen Wahrung wichtiger ist als die vom Staat verordneten Gesetze. Die Mafia sorgt für die Einhaltung der Regeln, gegen die sich Niemand aufzulehnen wagt...


Die engen Verflechtungen in der Zusammenarbeit der Filmschaffenden nach 1945 in Italien und der generelle Einfluss des neorealistischen Stils auf das Kino, lassen sich an Pietro Germis frühen Filmen - besonders an "In nome della legge" (Im Namen des Gesetzes) - sehr gut veranschaulichen. Seine Filme genießen in Italien zurecht ein hohes Ansehen, während sie im Gegensatz zu seinen späteren Komödien "Divorzio all'italiana" (Scheidung auf Italienisch, 1961) oder "Alfredo, Alfredo" (1972) in Deutschland nahezu unbekannt sind und in keiner Auflistung relevanter Filme des Neorealismus genannt werden. Dabei sind die Parallelen in der erzählerischen Anlage zwischen "In nome della legge" und "Divorzio all'italiana" offensichtlich, die beide auf der Grundlage der archaischen Sozialisation in Sizilien basieren, nur das Germi sich in seinen späteren, beißend satirischen Komödien mehr den moralischen Instanzen widmete, während er in "In nome della legge" die Basis für den Mafia-Film und nicht zuletzt den Italo-Western legte - in Italien gilt der Film entsprechend als der erste "Western" nach dem Krieg.

Allein die beteiligten Autoren lassen den späteren Einfluss des Films erkennen. Mario Monicelli, der zuvor schon an Germis erstem neorealistischen Film "Gioventù perduta" (Verlorene Jugend, 1948) als Autor mitwirkte, prägte neben Steno, Germi und Dino Risi die "Commedia all'italiana", deren sezierender Humor den Blick auf die Realität, wie er im Neorealismus stilbildend wurde, noch schärfte. Ihre bleibende Freundschaft über eine konkrete Zusammenarbeit hinaus lässt sich an Monicellis Umsetzung von Germis letztem Drehbuch zu "Amici miei" (Ein irres Klassentreffen, 1975) erkennen, dass dieser auf Grund seines Todes nicht mehr selbst in Angriff nehmen konnte. 

Auch Federico Fellini und Tullio Pinelli schrieben nicht nur gemeinsam die Drehbücher zu Fellinis eigenen Dramen wie "La strada" (Das Lied der Straße, 1954) oder "La dolce vita" (Das süße Leben, 1960), sondern waren auch an Germis folgendem, dem Neorealismus nahe stehenden Film "Il cammino della speranza" (Der Weg der Hoffnung, 1950) beteiligt. Giuseppe Mangione wiederum, der Fünfte im Bunde, widmete sich dem Action-Kino und schrieb Drehbücher zu Sandalenfilmen wie "Ursus" (Ursus, Rächer der Sklaven, 1961) und Italo-Western wie "Sugar Colt" (Rocco, der Mann mit den zwei Gesichtern, 1966).

Der Beginn des Films könnte unmittelbar aus einem Western stammen. Zwei bewaffnete Männer lauern innerhalb einer kargen steppenartigen Landschaft einem von zwei Eseln gezogenen Wagen auf. Sie überwältigen den Kutscher und erschießen ihn kaltblütig, da er einen der Räuber erkannt hatte. Der Ort des Überfalls befindet sich auf Sizilien, wenige Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, aber die Ähnlichkeit zu den Szenarien im Westen der USA ist unverkennbar. Renovierungsbedürftige Gebäude und unbefestigte Straßen geben einen staubigen Hintergrund ab für eine Handlung, die vom Gesetz des Stärkeren erzählt. Selbst der Baron (Camillo Mastrocinque), Großgrundbesitzer und einflussreiche Persönlichkeit, wendet sich nicht an die Polizei, sondern an Turi Passalacqua (Charles Vanel), um die Diebe seiner Esel fassen zu lassen. Passalacqua verkörpert den ortsansässigen Mafiaboss noch in seiner ursprünglichen Form als Oberhaupt einer Sozialisation, die den staatlichen Behörden misstraut und seit Jahrhunderten nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten lebt. Entsprechend tritt er nicht diktatorisch auf, sondern bespricht sich mit einer Gruppe vertrauter Männer, bevor er sein Urteil fällt. Als wenig später einer der zwei Räuber erschossen aufgefunden wird, kann er sich der Zustimmung des Großteils der Bevölkerung sicher sein.

Die Konfrontation mit dem Staat entsteht durch das Auftauchen von Guido Schiavi (Massimo Girotti), der seine Stelle als Richter in dem kleinen Ort antritt. Die wenigen offiziellen Gesetzesvertreter – darunter als Chef der Carabinieri Maresciallo Grifò (Saro Urzi) – haben sich in die Verhältnisse gefügt, aber der junge Richter, der aus Palermo stammt, beginnt sofort den Laden umzukrempeln und pocht auf die Einhaltung der staatlichen Gesetze, weshalb er sich auf die Suche nach dem Mörder des getöteten Räubers macht. Geschickt entwirft Germi eine nicht eindeutige Situation. Das ehrgeizige Streben des Richters wirkt im Vergleich zum gelassen und freundlich bleibenden Mafiaboss übertrieben, wenig an den tatsächlichen Bedürfnissen und moralischen Vorstellungen der Ortsansässigen orientiert. Doch „In nome della legge“ versteht sich nicht als Beschreibung einer Situation, wie sie vor dem Krieg noch Bestand hatte und zur Entstehung der Mafia beitrug (von Pasquale Squitieri in „Il prefetto di ferro“ (Die Rache bin ich, 1977) thematisiert), sondern verzahnt sie mit den gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Krieg.

Es ist weniger die offensichtliche Armut und die sehr einfachen Lebensverhältnisse, die die Nähe zum Neorealismus symbolisieren, als die Auseinandersetzungen mit einer neuen sozialeren Gesellschaftsform, die nicht mehr von einer Person bestimmt wird, unabhängig davon, aus welchen Beweggründen sie handelt. Erstaunlich konkret für seine Entstehungszeit kritisiert der Film den rücksichtslosen Umgang der Männer mit den Frauen. Der Baron behandelt seine kultivierte Ehefrau (Jone Salinas) nicht nur wie eine Angestellte, die auf Befehl folgen muss, sondern äußert sich verächtlich über ihre Vorliebe für Musik und ihr Klavierspiel. Zwar bleibt die Beziehung zwischen ihr und dem jungen Richter oberflächlich, aber allein der Gedanke, dass eine verheiratete Frau ihren Mann verlässt, war damals noch unvorstellbar. Entscheidender im Gesamtkontext ist die Liebesgeschichte zwischen dem jungen Paolino (Bernardo Indelicato) und der 16jährigen Bastianedda (Nadia Niver). Francesco Messana (Ignazio Balsamo), zuständig für die Ausführung der Mafia-Urteile, hat zwar ein Verhältnis mit deren ledigen Mutter, will diese aber dazu zwingen, ihm ihre Tochter zur Frau zu geben. Germi zeichnet ein von starren moralischen Regeln bestimmtes Bild totaler Abhängigkeit der Frauen, wie er es in „Divorzio all’italiana“ ein Jahrzehnt später ironisch und schwarzhumorig verarbeiten sollte.

Als Paolino und Bastianedda deshalb beschließen, keineswegs heimlich eine gemeinsame Nacht zu verbringen, gleicht das einer Revolution und bringt ihn in Lebensgefahr. Der geprellte Messana hatte schon vorher gegenüber Passalacqua behauptet, der Junge hätte sie bei dem Richter verraten, um seinen Tod zu fordern, aber der Mafiaboss hatte diese Aussage kritisch hinterfragt und erst eine Überprüfung angeordnet. Jetzt war der wütende Messana nicht mehr bereit, darauf zu warten. Zudem hatte es sich herausgestellt, dass sich die bittere Armut der Menschen darauf begründete, dass der Baron die Mine schließen ließ, in der die meisten Männer gearbeitet hatten – ein aus rein wirtschaftlichen Überlegungen umgesetzter Beschluss, der von der Mafia unterstützt wurde. In diesem Zusammenhang erscheint auch der anfängliche Überfall in einem anderen Licht, denn erst die Not hatte die beiden Männer dazu gezwungen, die Esel des Barons zu stehlen. Zunehmend zeigen sich Risse in der scheinbar funktionierenden Gemeinschaft und wird es deutlich, dass die Entscheidungen der bestimmenden Männer von Egoismen und eigenen Moralvorstellungen geprägt sind. Zwar gewinnt der Richter langsam Vertrauen, weil er den Baron gerichtlich dazu zwingen will, seine Mine wieder zu öffnen, doch er unterschätzt die Macht seiner Gegner und deren Einfluss auf eine konservativ denkende Bevölkerung.

„In nome della legge“ war der erste Film nach der Mussolini-Diktatur, der die mafiösen Strukturen differenziert beschrieb und einen souverän agierenden „Paten“ präsentierte, der die Vorgänge geschickt aus dem Hintergrund kontrolliert. Aus heutiger Sicht sind diese Mechanismen vertraut, aber Germis Film hat seine Bedeutung deshalb nicht verloren, weil er seine Story aus der Grundlage heraus entwickelt, der die Mafia ihre Entstehung und Anerkennung in der Bevölkerung verdankte - als Reaktion auf einen Staat, von dem sie sich im Stich gelassen fühlte. Gleichzeitig verzahnt er die Demaskierung dieser Strukturen mit einer sich wandelnden Sozialisation im Nachkriegsitalien, ohne die Rolle des Staates zu idealisieren. Wenn der Richter in seiner verzweifelten Rede am Ende fordert, im Namen des Gesetzes zu handeln, dann lächelt der Mafiaboss nur bestätigend dazu, bevor er mit seinen Männern davon reitet.

"In nome della legge" Italien 1949, Regie: Pietro Germi, Drehbuch: Pietro Germi, Federico Fellini, Giuseppe Mangione, Mario Monicelli, Tullio Pinelli, Darsteller : Massimo Girotti, Charles Vanel, Saro Urzi, Ignazio Balsamo, Camillo Mastrocinque, Jone Salinas, Laufzeit : 96 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Pietro Germi:

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.