Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Samstag, 22. Juni 2013

Fantozzi (Das größte Rindvieh weit und breit) 1975 Luciano Salce

Inhalt: Pina Fantozzi (Liù Bosisio) ruft unterwürfig bei der Firma ihres Mannes an, die über einen respektheischend langen Namen verfügt. Sie formuliert vorsichtig, dass sie sich langsam Sorgen um ihren Mann Ugo (Paolo Villaggio) macht, der seit 18 Tagen nicht mehr nach Hause gekommen wäre – eine Mitteilung, die in dessen Firma eine routinemäßige Vorgehensweise auslöst. Ein Spezialist für das Auffinden vermisster Mitarbeiter nimmt Fantozzis Geruch an dessen Schal auf, den sie in dessen Spind finden. Dort entdecken sie auch seine Stempelkarte, was beweist, dass er sich innerhalb des Gebäudes befinden muss.

Tatsächlich wird der Spezialist schnell fündig und entdeckt ihn hinter der Abmauerung eines alten Toilettentracks, den die Firma vor 18 Tagen vorgesehen hatte. Fontazzi beklagt einen leichten Hunger, aber seine Kollegen nehmen keine Notiz von seinem Auftauchen, sondern sind intensiv mit ihrem „Schiffeversenken“ Spiel beschäftigt. Nur Signorina Silvani (Anna Mazzamauro), in die Fontazzi seit sieben Jahren heimlich verliebt ist, nutzt seine Anwesenheit, ihm weitere Akten auf seinen überfüllten Tisch zu türmen…


Obwohl der deutsche Verleih mit dem Titel "Das größte Rindvieh weit und breit" versuchte, auch mit "Fantozzi" auf die Mitte der 70er Jahre nach Deutschland schwappende Sexfilm/Klamaukwelle aus Italien aufzuspringen, misslang dieses Unterfangen, denn während es der Film in Italien zu neun Fortsetzungen in mehr als 20 Jahren brachte - immer mit Paolo Villaggio in der Rolle des Ugo Fontazzi - kam nicht einmal die erste noch von Regisseur Luciano Salce verantwortete Fortsetzung "Il secondo tragico Fantozzi" (1976) in die deutschen Kinos. Oder zumindest auf Video heraus wie Ende der 70er Jahre diverse italienische Sex-Klamotten (darunter "L'insegnante" (Die Bumsköpfe, 1975), die in Deutschland zu unrecht das heute vorherrschende Image über die italienische Komödie prägten. Es überrascht vordergründig, dass die absurden, slapstickhaften oder schlicht blöden Erlebnisse des kleinen Angestellten Ugo Fontazzi außerhalb Italiens keine Anhänger fanden.

Tatsächlich wird besonders an den ersten beiden "Fantozzi"- Filmen der feine Unterschied zwischen der "Commedia all'italiana" zu den immer oberflächlicheren Sex-Komödien dieser Zeit deutlich. Während diese ausschließlich der Unterhaltung dienten, besaß die klassische italienische Komödie ein genaues Gespür für die Realität, die sie zwar in verzerrter Form wiedergab, dabei hinter dem witzigen Treiben immer auch die Tragik vermittelnd, mit der sie die gezeigten Verhältnisse letztlich kritisch beleuchtete. Die Entwicklungslinie von "Guardie e ladri" (Räuber und Gendarm, 1951) über "I soliti ignoti" (Auch Diebe haben es schwer, 1958), der heute als erster signifikanter Vertreter der "Commedia all'italiana" gilt, bis zu "Fantozzi" lässt sich entsprechend leicht herstellen. Regisseur Luciano Salce gehörte nicht nur früh seit "Il federale" (Zwei in einem Stiefel, 1961) zu einem wichtigen Vertreter des Genres, sondern prägte mit "La voglia matta" (Lockende Unschuld, 1962) entscheidend die erotische Variante, die sich zur "Commedia sexy all'italiana" weiter entwickeln sollte.

In den 60er Jahren beteiligte sich Salce auch intensiv am Episodenfilm ("Alta infedeltà", 1964), der ihn mit einer Vielzahl an Kollegen zusammenbrachte, darunter mit Mario Monicelli der neben Steno prägende Regisseur der "Commedia all'italiana". Dessen 1966 erschienener Film „L'armata Brancaleone“ (Die unglaublichen Abenteuer des hochwohllöblichen Ritters Branca Leone) zeichnete sich wie „Fantozzi“ durch einen Humor aus, der sich ohne genaue Sprachkenntnisse und das Wissen über landestypische Eigenheiten nicht vollständig erschließt, weshalb sein Bekanntheitsgrad außerhalb Italiens beschränkt blieb. An der Fortsetzung „Brancaleone alle crociate“ (Brancaleone auf Kreuzzug ins heilige Land, 1970), die stark gekürzt in die deutschen Kinos kam, war auch der Komiker Paolo Villaggio in einer seiner ersten Rollen beteiligt. Nur wenig später schrieb er sich in zwei Romanen die Figur des „Ugo Fantozzi“ auf den eigenen Leib und gelangte durch deren Verkörperung auf der Kinoleinwand in Italien zu großer Popularität. Aus dem Blickwinkel eines kleinen, unauffälligen Angestellten schildert Villagio dessen verbissen geführten, ständig scheiternden Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens, wobei ihm tiefe Einblicke in den italienischen Alltag gelangen. Trotz der humorvollen Inszenierung und Fantozzis Unverwüstlichkeit, lässt der Film die Ignoranz und den Egoismus einer Sozialisation deutlich werden, in der nur der Erfolgreiche etwas gilt – unabhängig davon, ob gerechtfertigt oder nicht - eine bis heute unveränderte Situation, die hier an spezifisch italienischen Eigenarten durchgespielt wurde.

Villaggio wählte eine episodenhafte Erzählweise, die zwar unterschiedliche Aspekte des Arbeits- und Privatlebens in sich abgeschlossen behandelt, dabei aber eine Art geistiger Klammer verwendend – auch dank der ironischen Überleitungen aus dem Off – die dem Film einen zusammenhängenden Charakter verlieh. Für die gesamte Handlung bestimmend bleiben Fantozzis vergebliche Annäherungsversuche an seine Kollegin Signorina Silvani (Anna Mazzamauro), womit der Film die Idealisierung des „kleinen Mannes“ vermeidet, der zuerst immer auch ein Mann ist. Obwohl Fantozzis Stellenwert auf unterster Ebene angesiedelt ist, wie schon die erste Szene des Films verdeutlicht, in der ihn seine Frau Pina (Liù Bosisio) erst nach 18 Tagen als vermisst meldet (seiner Firma war seine Abwesenheit noch nicht aufgefallen), will er Signorina Silvani, immerhin schon zum zweiten Mal zur „Miss“ der 40. Etage gewählt, erobern. Anna Mazzamauro, die diese Rolle sieben weitere Male verkörpern sollte, ist in ihrer spitznasigen Dünnheit nicht unbedingt ein Schönheitsideal, weiß aber ihre Wirkung geschickt einzusetzen, weshalb sie Fantozzi immer gerade so viel entgegen kommt, dass er den Mut nicht ganz verliert.

Auch wenn Fantozzi in allen Situationen eine komische Figur abgibt und viele Niederlagen einstecken muss, vermied es der Film, ihn vollkommen der Lächerlichkeit preiszugeben. Zwar fällt es ihm selbst schwer, seine Tochter Mariangela (Plinio Fernando) zu küssen, die mehr wie ein Äffchen aussieht, aber als sich die Chefs seiner Firma bei einer Weihnachtsgratifikation über ihr Aussehen lustig machen und sie damit zum Weinen bringen, schreitet er vehement ein. Zunehmend wird deutlich, dass es nicht Fantozzi ist, um den es hier wirklich geht, sondern um seine Umgebung, die angesichts seiner wenig ernstzunehmenden Figur ganz aus sich herausgeht und damit die Mechanismen der italienischen Gesellschaft demaskiert. Auch darüber hinaus spart der Film nicht mit bösen Seitenhieben - etwa als Fantozzi in ein Gefängnis gesperrt wird, um eine medizinisch betreute Diät zu machen, und das Personal deutsch spricht. Irgendwann reicht es Fantozzi und ihm wird klar, dass er nur ausgenutzt und hintergangen wird. Er lässt sich zu dem Einzigen noch größeren Außenseiter in der riesigen Firma versetzen – einem Kommunisten, der an einem abgelegenen Ort im Keller sein Dasein hinter Aktenbergen fristet.

Es kommt zu einer großartigen Schlusssequenz, die die damalige gesellschaftspolitische Situation in Italien treffend auf den Punkt brachte. Als er – nach monatelangem Studium des kommunistischen Manifestes – vor Wut einen Stein auf das Firmengebäude wirft und eine Glasscheibe zertrümmert, wird er zum obersten Chef der Firma gerufen, den sonst Niemand zu Gesicht bekommt, weshalb seine Existenz unter den Mitarbeitern angezweifelt wird. Viele absurd wirkende Gerüchte ranken sich um seine Person, auch das verdiente Mitarbeiter in einer Art Aquarium schwimmen dürfen, dass sich auf dem obersten Stockwerk befinden soll. Doch tatsächlich erweist sich das Chef-Büro als karg eingerichteter Raum und der Direktor bittet ihn auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch Platz zu nehmen. Schnell schwinden Fantozzis Bedenken, auch weil sein Chef seinen Ansichten mit Verständnis begegnet. Immer mehr wird dieser zu einer gottgleichen Person, der kapellenartige Charakter des Raumes wird deutlich und Fantozzi nimmt auf der Kniebank vor dem Altar platz, als der sich der Bürotisch erweist. Fantozzi wagt es, ihn nach dem Aquarium zu fragen - die hintere Wand öffnet sich und in seiner Güte lässt er ihn dort schwimmen. Fantozzis Widerstand ist gebrochen und er nimmt wieder seinen gewohnten Platz innerhalb der Firma ein – der Film endet wie er begonnen hat. 

"Fantozzi" Italien 1975, Regie: Luciano Salce, Drehbuch: Luciano Salce, Leonardo Benvenuti, Piero De Benardi, Paolo Villaggio (Roman), Darsteller : Paolo Villaggio, Anna Mazzamauro, Liù Bosisio, Plinio Fernando, Nello Pazzafini, Laufzeit : 103 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Luciano Salce:

1 Kommentar:

Sascha Nolte hat gesagt…

Danke für diesen Filmtipp und den sehr gelungenen Text! Werde mir den Streifen zur Ansicht mal vormerken.

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.