Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Donnerstag, 22. November 2012

Scandalo (Submission) 1976 Salvatore Samperi


Inhalt: Frankreich, Mai 1940 - Während draußen eine Einheit der französischen Armee von der Bevölkerung verabschiedet wird, führt Madame Eliane Michoud (Lisa Gastoni) die Apotheke einer französischen Kleinstadt. Die penible Geschäftsfrau achtet nicht nur auf ihre Angestellten Juliette (Andréa Ferréol) und Armand (Franco Nero), sondern darauf, dass sowohl in der Apotheke, als auch in ihrem Haus jederzeit Ordnung herrscht. Selbst das von der Köchin zubereitete Abendessen für ihren Mann Henri (Raymond Pellegrin), einem Intellektuellen, der sich mit Literatur und Kunstgegenständen beschäftigt, und ihrer minderjährigen Tochter Justine (Claudia Marsani), wird noch von ihr abgeschmeckt.

Armand, der es der Anstellung in der Apotheke zu verdanken hat, dass er nicht zum Militärdienst einberufen wurde und damit nicht sein Land vor den einrückenden deutschen Truppen verteidigen muss, wartet wie häufig darauf, dass seine Kollegin Juliette sich noch zum Sex nach Feierabend mit ihm trifft. Doch Juliette, für die Armand nur ein netter Freizeitvertreib ist, hatte sich schon, ohne ihm Bescheid zu sagen, von ihrem Mann abholen lassen. Als ihm im Dunklen eine Frau gegenüber tritt, glaubt er, sie vor sich zu haben, weshalb er erstaunt reagiert, als er sich für sein Drängen eine Ohrfeige einhandelt. Noch mehr gerät er aus der Fassung, als Juliette ihm am kommenden Tag auf seine Beschwerde hin erklärt, dass sie gar nicht mehr in der Apotheke war. Ihm wird klar, dass es seine Chefin gewesen sein muss, weshalb er seine Entlassung fürchtet. Doch diese wird nicht ausgesprochen…


Am 10.Mai 1940 begann der "Westfeldzug" der deutschen Wehrmacht, der am 25.Juni mit einem Waffenstillstand in Folge der Kapitulation Frankreichs enden sollte. Vor diesem historischen Hintergrund siedelte Salvatore Samperi seinen Film "Scandalo" (Submission) an, womit er - wie zuvor schon in "Malizia" (1974) und ein Jahr später in "Nenè" (1977) - eine enge Verzahnung der Darstellung sexueller Begierden mit einem räumlichen und zeitlichen Kontext herzustellen versuchte. Trotz Samperis Fähigkeit, einen fast malerischen, atmosphärisch dichten Hintergrund aufzubauen, wird deutlich, das es ihm dabei weniger um historische Genauigkeit ging, als um die Verbindung zur Gegenwart der 70er Jahre und damit die Phase des sexuellen Aufbruchs. 

Ebenso typisch für Samperis erotische Dramen ist der räumlich beschränkte Rahmen der Handlung, die in "Scandalo" nur im unmittelbaren Umfeld der Apotheke von Eliane Michoud (Lisa Gastoni) stattfindet, die am zentralen Platz einer französischen Kleinstadt gelegen ist. Dank der Fürsprache des alten Colonel (Antonio Altoviti) erhielt Armand (Franco Nero) den Job in der Apotheke und entkam damit der Einberufung zum Militär, während eine Einheit aus seiner Stadt gerade in den Krieg zieht. Doch nicht nur sein Leben erscheint sonst unberührt von den realen Ereignissen, auch seine Chefin widmet sich wie gewohnt der Apotheke, der Haushaltsführung und der Erziehung ihrer minderjährigen Tochter Justine (die damals 16jährige Claudia Marsani - Miss Teenager 1973 und 1975 auf dem Titelbild des italienischen Playboy - in ihrer letzten Rolle), deren Konzentration auf guten Schulleistungen liegt, während Elianes Mann, Professor Henri Michoud (Raymond Pellegrin), Lesungen für die Einwohner des Ortes veranstaltet, die zu intellektuellen Diskussionen über Stendhal führen, und seiner Sammelleidenschaft wertvoller Kunstobjekte frönt, für deren Erwerb er sogar mit dem Zug nach Paris fährt. 

Ganz generell beschreibt Samperi das normale Leben einer französischen Kleinstadt, angesichts dessen die Dramatik des Krieges, die der Film mit regelmäßigen Meldungen aus dem Radio vermittelt, fast unwirklich wirkt. Noch absurder erscheint dadurch der Gegensatz zwischen der ruhig bleibenden Konzentration des Films auf die sexuellen Obsessionen seiner Protagonisten, während die Besetzung Frankreichs mit hoher Geschwindigkeit fortschreitet. Es ging Samperi offensichtlich nicht um die Darstellung realer Verhaltensweisen im Angesicht einer Gefahr, sondern um die Schaffung eines künstlichen Raumes. Die Wahl eines konkret lebensbedrohenden Szenarios sollte noch die Fähigkeit des Menschen betonen, ganz auf sich und seine Obsessionen zurück fallen zu können. 

Für das Verständnis der Beziehung zwischen Armand und Madame Michoud ist dieses künstliche Umfeld notwendig, denn es entzieht sich den bekannten Klischees und verweigert sich den Mechanismen einer üblichen Bewertung. Die Entstehung ihrer sexuellen Beziehung erfolgt noch konventionell, als Armand von seiner Kollegin Juliette (Andréa Ferréol) erfährt, dass es nicht sie, sondern seine Chefin war, die er in der Dunkelheit sexuell berührte, weshalb er jeden Moment seine Kündigung erwartet. Als diese nicht ausgesprochen wird, wird er mutiger und beginnt sie zu provozieren. Sie wehrt sich, aber nicht mit der für sie selbstverständlichen Konsequenz, woran deutlich wird, das sein Versehen etwas in ihr ausgelöst hat. Trotzdem ist die häufige Interpretation, sie als sexuell frustrierte Ehefrau Ende 30 anzusehen, die den Avancen eines jüngeren Mannes erliegt, zu einfach, wie auch Armand als typischen Verführer zu betrachten.

Im Gegenteil wirkt Franco Nero gegen seinen sonstigen aktionistischen Rollentypus besetzt, denn Armand, der als 30jähriger noch bei seiner Mutter lebt, verhält sich zu Beginn passiv und ängstlich - nicht nur als Drückeberger vor dem Wehrdienst, sondern auch im Gehorsam bei der Arbeit und als er glaubt, seine Chefin würde ihn entlassen. Auch die sexuelle Beziehung zu seiner Kollegin Juliette ist kein Anzeichen für sein selbstbewusstes Auftreten gegenüber Frauen, denn er ist für sie nur ein netter Zeitvertreib. Zu der Verwechslung mit der Chefin kommt es nur, weil Juliette schon von ihrem Ehemann abgeholt wurde, ohne das geplante Schäferstündchen abzusagen. In dieser emanzipierten Haltung wird die Nähe zu den 70er Jahren deutlich, wie auch in der Rolle der Madame Michoud, die kein Anhängsel ihres Mannes ist, sondern ein selbst bestimmtes Leben führt. Zwar scheint sich sexuell nichts mehr zwischen den Eheleuten abzuspielen, wie auch die Kommunikation auf ein Mindestmaß reduziert scheint, aber das erklärt nicht ihre von Beginn an demütige Haltung gegenüber Armand, der sich keine Mühe gibt, sie liebevoll zu behandeln, sondern sie zu sexuellen Handlungen zwingt.

Ihr Verhalten entzieht sich den typischen Mustern zwischen frustrierter Ehefrau und jüngerem Liebhaber, denn Armand - instinktiv ihre Sucht nach Unterwerfung spürend - versucht gar nicht erst, positive Emotionen zu erzeugen, sondern beginnt sofort, sie zu erniedrigen. Die Entwicklung ihrer Beziehung wird von Samperi weder verharmlost, noch lässt er Konzessionen an romantische Vorstellungen zu. Einzig in der zentralen Szene des Films, als er sie zwingt, wie eine Prostituierte nackt über den Platz vor der Apotheke zu laufen, jederzeit in Gefahr einen Skandal in der Kleinstadt hervorzurufen, und ihr Flehen, sie wieder hereinzulassen, erst erhört, nachdem ein allerdings Betrunkener sie schon gesehen hatte, gönnt er ihr einen kurzen euphorischen Moment und lässt ihre Erregung und Freude zu. Um diesen Augenblick kurz darauf wieder zu zerstören, indem er sie auffordert, ihm ihre minderjährige Tochter zum Sex zur Verfügung zu stellen, womit er scheinbar auch ihre Grenze überschreitet.

In den 70er Jahren erschienen eine Vielzahl von Softporno-Filmen oder erotischen Komödien, die ihre anspruchslosen Stories vor allem für die Darstellung nackter Tatsachen nutzten. Salvatore Samperi bildete mit seinen intelligenten Sujets und atmosphärischen Hintergründen eine Ausnahme, bediente in "Malizia" (1973) aber noch typische Männerfantasien der frühen 70er Jahre. In "Scandalo" gelingt ihm dagegen die verstörende Darstellung menschlichen Verhaltens, das sich - gleichzeitig nachvollziehbar und abstoßend - jeder einfachen Identifikation verweigert und den Betrachter mit seinen eigenen Wertmaßstäben konfrontiert. Die Nacktheit, für deren Schönheit neben der üppigen Andréa Ferréol vor allem die damals 40jährige Lisa Gastoni zuständig ist, ordnet sich ganz der Geschichte unter und wirkt nie künstlich forciert.

"Scandalo" wurde nicht allein ein Film über eine sexuelle Beziehung, sondern über die generelle Flucht vor der Realität. Auch Elianes Mann, der von ihrer sexuellen Obsession, ihrem Leid und der gleichzeitigen Sucht erfährt, ist nicht in der Lage zu reagieren, sondern steigert sich noch mehr in seine intellektuellen Hobbys. Und Armand, gegenüber Eliane überlegen und erniedrigend auftretend, findet letztlich nur Trost in der Nähe einer Minderjährigen - Samperi erfüllt keine Erwartungshaltungen, sondern lässt alles folgerichtig im Feuer des Krieges aufgehen.

"Scandalo" Italien 1976, Regie: Salvatore Samperi, Drehbuch: Salvatore Samperi, Ottavio Jemma, Darsteller : Lisa Gastoni, Franco Nero, Andréa Ferréol, Raymond Pellegrin, Claudia Marsani, Laufzeit :  107 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Salvatore Samperi:

"Malizia" (1973)
"Peccato veniale" (1974)
"Nenè" (1977)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.