Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Mittwoch, 30. März 2016

Una donna libera (Eine freie Frau) 1954 Vittorio Cottafavi

Inhalt: Zwei Schüsse hallen durch die Nacht und eine junge Frau läuft über die Straßen Roms. Sie sieht ihr Spiegelbild in einem Schaufenster und fühlt sich plötzlich alt. In ihren Erinnerungen kommen die vergangenen Jahre wieder hoch, die zu ihrer Tat führten:







Fröhlich verbringt die studierte Architektin Liana (Françoise Christophe) ihre Freizeit unter ihren Freunden, zu denen auch der Maler Sergio Rollini (Galeazzo Benti) gehört, der ein Porträt von ihr gemalt hatte, das er bei seiner Vernissage ausstellt. Zu den Besuchern der Ausstellung zählt auch Gerardo Villabruna (Pierre Cressoy), ein bekannter Dirigent, dem besonders Lianas Bild, aber mehr noch sie selbst gefällt. Kühl lässt sie seine Avancen an aich abgleiten, denn die junge Frau steht kurz vor ihrer Hochzeit, aber Villabruna bleibt hartnäckig und findet den Zugang zu ihr…


Zwei Schüsse fallen und eine Frau läuft über die nächtlich verwaisten Straßen Roms. Sie ist jung und schön, aber sie fühlt sich alt und hässlich - Liana (Françoise Christophe), studierte Architektin, Tochter aus wohlbehütetem bürgerlichem Haus, beginnt ihre eigene Geschichte rückwirkend zu erzählen und vor dem geistigen Auge des Zuschauers entfaltet sich die übliche Erwartungshaltung: "Una donna libera" (Eine freie Frau) - allein der Filmtitel schon eine Provokation, ein Vorbote des Scheiterns. Die unaufhaltsame Tragödie einer Frau, die sich gegen ihre gesellschaftliche Rolle stellt. Mit den zu folgerichtigen Konsequenzen - Einsamkeit, Eifersucht, Tod.

Für Regisseur Vittorio Cottafavi das geeignete Terrain. Wiederholt hatte er seine Fähigkeit bewiesen, straff inszenierte Dramen um außergewöhnliche Frauenfiguren zu entwerfen. "Una donna ha ucciso" (Eine Frau hat getötet, 1952), "Il boia di Lilla - La vita avventurosa di Milady" (Anna und der Henker, 1953), "Traviata '53" (Die Geliebte, 1953) – klar strukturierte Geschichten, deren emotionalen Tiefe er mit wenigen Pinselstrichen auslotete, auch schwerwiegende Entscheidungen und tragische Brüche ohne lange Hinführung  glaubwürdig wiedergebend. So auch in „Una donna libera“. Nur wenige Minuten benötigte Cottafavi, um die junge Architektin als selbstbewusste, moderne Frau aus konservativem Elternhaus zu charakterisieren. Sie gehört zum Freundeskreis des Künstlers Sergio Rollini (Galeazzo Benti), der ein Porträt von ihr gemalt hatte, und weiß sich auch ihres Vaters zu erwehren, der streng über die Tugend seiner zwei Töchter wacht.

Das kann aber nicht verhindern, dass Gerardo Villabruna (Pierre Cressoy), ein Frauenheld par excellence, in ihr Leben tritt. Er wird bei einer Vernissage, auf der Lianas Porträt ausgestellt ist, auf sie aufmerksam, und erweist sich in der Lage, auch diese disziplinierte, intelligente junge Frau von sich zu überzeugen. Gut aussehend und als bekannter Dirigent mit der nötigen faszinierenden Aura versehen, packt er sie bei ihrer Individualität. Villabruna ist ganz Künstler, bürgerliche Gesetzmäßigkeiten stellt er in Frage und trifft damit Lianas wunden Punkt. Ihrer vorbestimmten Rolle als Gattin und Mutter, versorgt von einem geschätzten Ehemann, ist sie innerlich schon entwachsen, beugte sich bisher aber dem Wunsch der Eltern. In ihren aufkommenden Zweifeln spiegelten sich die soziokulturellen Veränderungen der Nachkriegszeit - in vielen zeitgenössischen Filmen nicht selten als Warnung vor den negativen Folgen besonders für die Frauen thematisiert.

Die schwermütige Musik, besonders die wiederholt angespielte Eingangssequenz von Tschaikowskys erstem Klavierkonzert, drückte dem Film früh seinen Stempel auf. Und ließ eine melodramatische Grundstimmung entstehen, die Cottafavi den Vergleich mit Douglas Sirk einbrachte. Wie Sirk entwickelte Cottafavi unter der populär emotionalen Oberfläche eine Liberalität, die ihrer Zeit voraus war. Auch die Ökonomie, mit der er tiefgreifende Veränderungen quasi im Zeitraffer abhandelte, erinnert an Sirks Stil. Von ihrer Begegnung mit dem charismatischen Dirigenten aufgewühlt, kommt es zu einem Gespräch mit ihrem Verlobten, den Liana in wenigen Tagen heiraten wollte. Sie redet mit ihm über Liebe, über die Bedeutung ihrer Beziehung jenseits rationaler Gesichtspunkte. Ein Dialog, der damit endet, dass er ihr im Weggehen rät, insgesamt weniger nachzudenken. In der nächsten Szene steht sie vor der Sommer-Residenz des Dirigenten. Dank des Verzichts auf die tränenreichen Umstände der Trennung, bewahrte der Film ein Gleichgewicht zwischen Melodrama und Pragmatismus, das auch Sirks Filme auszeichnete.

Damit enden die Gemeinsamkeiten, denn während Sirk in seinem parallel entstandenen „Magnificent obsession“ (Die wunderbare Macht, 1954) bewusst überzeichnete und im us-amerikanischen Kitsch schwelgte, ist „Una donna libera“ noch der Einfluss des Neorealismus anzumerken. Nicht nur Cottafavi wurde in den 40er Jahren filmisch sozialisiert, sein Drehbuchautor Oreste Biancoli, mit dem er zuvor schon gemeinsam das Kriegsdrama „Fiamma che non si spegne“ (1949) entwickelt hatte, hatte an Alberto Lattuadas „Il bandito“ (Der Bandit, 1946) und Vittorio De Sicas „Ladri di biciclette“ (Fahrraddiebe, 1949) mitgewirkt. „Una donna libera“, dessen Story auf einem Theaterstück der argentinischen Feministin Malena Sandor basiert, spielte zwar im wirtschaftlich gesicherten, bürgerlichen Milieu, blieb aber maßstäblich zur Realität. Lianas Angestellten-Dasein in Paris, wohin sie nach dem für sie schmerzlichen Ende der Beziehung mit Gerardo ging, fehlt jede schillernde Komponente, selbst der Luxus, den ihr der ältere Unternehmer Massimo Marchi (Gino Cervi) bietet, den sie später aus Vernunftgründen heiratet, wirkt nicht verschwenderisch.

Ähnlich angemessen, ohne künstlich forcierte Dramatisierung, beschrieb Cottafavi die gesellschaftliche Reaktion auf Lianas Verhalten. Obwohl sie ihre Verlobung löst, um mit einem anderen Mann eine Affäre zu beginnen, wird sie nicht offen angefeindet, selbst ihr strenger Vater verstößt sie nicht. Der spätere Bruch mit ihrem wohlhabenden Ehemann, nachdem sie erneut die Nähe zu dem Dirigenten gesucht hatte, verläuft nahezu lakonisch, ohne Streit. Damit vermied Cottafavi ein Klima der Konfrontation und betonte Lianas Verankerung im konservativen Bürgertum. Mitte der 50er Jahre eine wichtige Voraussetzung für die Identifikation mit einer Protagonistin, deren Wunsch nach einem „freien Leben“ nicht Auflehnung, sondern Selbstverständlichkeit signalisieren sollte.

Eine Selbstverständlichkeit, die in der Realität für eine Frau nicht existierte, wie der Film nadelstichartig deutlich werden ließ. Liana droht kein Abgrund, wie zu Beginn der Eindruck entstehen konnte, sondern Ignoranz und Vorurteile. Als sie sich bei einem bekannten Bauunternehmer um einen Job bemüht, ist dieser gerne bereit, sie mit Juwelen zu überhäufen, doch für eine Anstellung als Architektin hält er sie nicht geeignet. Auch der so eloquent die bürgerliche Moral in Frage stellende Dirigent postuliert die Freiheit der Liebe nur für sich selbst. Auf Kosten der Frauen. Lianas Schüsse auf ihn geschehen nicht aus Eifersucht - sie hatte ihn längst durchschaut - sie gelten seiner Verlogenheit und Rücksichtslosigkeit. Als sie ruhigen Schrittes zur nächstgelegenen Polizeidienststelle geht, um sich zu stellen, ist sie frei.

"Una donna libera" Italien, Frankreich 1954, Regie: Vittorio Cottafavi, Drehbuch: Oreste Biancoli, Fabrizio Sarazani, Malena Sandor (Drama), Darsteller : Francoise Christophe, Pierre Cressoy, Gino Cervi, Galeazzo Benti, Christine Carère, Elisa Cegani, Laufzeit : 94 Minuten

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.