Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Samstag, 2. März 2013

Per 100,000 dollari ti ammazzo (Django, der Bastard) 1968 Giovanni Fago


Inhalt: Der Bandit Concalves (Fernando Sancho) dringt mit drei Männern in eine Kirche ein, auf der Suche nach dem Kopfgeldjäger Johnny Forest (Gianni Garko). In der Halle sind vier Särge aufgebahrt, was sie nicht weiter beachten. Ein Fehler, denn Forest befindet sich in einem der Särge und sorgt von dort aus dafür, dass er bald die Belohnung für sie kassieren kann. Seine Stimmung verändert sich, als er bei seiner Geliebten Anne (Claudie Lange) erfährt, dass seine Mutter gestorben ist. Zudem hatte sie als letzten Wunsch geäußert, dass er nicht zuerst auf seinen Bruder Clint (Claudio Camaso) schießen soll, womit sie einen wunden Punkt bei ihm traf.

Seitdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde, wo er 10 Jahre Haft absitzen musste, weil ihm sein Bruder den von ihm selbst begangenen Mord an ihrem Vater in die Schuhe geschoben hatte, war er auf der Suche nach Clint. Dieser hatte sich inzwischen zu einem berüchtigten Verbrecher entwickelt, der gerade Probleme mit dem Banditenboss Jurago (Piero Lulli) bekommen hat, weil er diesem die Beute eines Goldraubs abgejagt hatte. Als Johnny Forest seinen Bruder endlich wieder findet, sieht er sich zuerst gezwungen, diesem gegen Jurago beizustehen…


Es ist wenig bemerkenswert, dass auch "Per 100,000 Dollari ti ammazzo" (Wörtlich "Für 100.000 Dollar töte ich dich") das nach "Django" (1966) nicht nur in Deutschland häufige Schicksal ereilte, ebenfalls zum Django-Film ernannt zu werden. Doch die Umbenennung von Johnny Forest (Gianni Garko) in "Django" war diesmal besonders verfälschend, weil die Geschichte zweier verfeindeter Brüder auf ihrem gemeinsamen Familiennamen aufbaut. Zudem erfüllt Johnny Forest nur in der Eingangssequenz die Erwartungen an einen coolen Pistolero und Kopfgeldjäger, als er Fernando Sanchos kurzen Gastauftritt schnell wieder beendet. Nachdem er sich bei dem alten Sheriff - dem einzigen Mann, der noch eine Waffe tragen kann, aber nicht im Bürgerkrieg kämpfen muss - die Belohnung für die vier getöteten Banditen abgeholt hatte, erhält sein Charakter eine Tiefe, geprägt von Ereignissen, die der Film in Rückblenden erzählt, die wenig mit den gewohnten „Django“ – Charakteren gemeinsam hat.

Sein Bruder Clint (Claudio Camaso), weniger attraktiv und begabt, hatte seinen Vater aus Eifersucht getötet, als dieser Johnny wieder nach Hause zurückholen wollte, obwohl es sich herausgestellt hatte, dass er nicht sein leiblicher Sohn war. Die Behörden glaubten aber - durch Clint darin bestärkt - dass Johnny ihn im Affekt getötet hätte, weil er es nicht ertragen konnte, ein „Bastard“ zu sein. Immerhin gestanden sie ihm deshalb besondere Umstände zu, weshalb er mit 10 Jahren Gefängnis davon kam. Schon an dieser Vorgeschichte wird deutlich, dass es sich bei Johnny Forest um keinen zynischen Revolverhelden handelt, sondern um einen gebrochenen Mann, der zu keiner Beziehung mehr fähig zu sein scheint – seine damalige Freundin hatte Selbstmord begangen – und nur davon besessen ist, seinen Bruder, der sich während seines Gefängnisaufenthalts zu einem berüchtigten Verbrecher entwickelt hatte, zur Verantwortung zu ziehen.

So erklärt sich auch seine Reaktion auf die Nachricht vom Tod seiner Mutter und ihr letzter Wunsch, nicht zuerst auf seinen Bruder zu schießen, die ihn bei seiner Geliebten Anne (Claudie Lange), einer unverheirateten Mutter, erreicht. Für ihn ist es selbstverständlich, ihren letzten Willen zu respektieren. Einem abgeklärten Profi wären solche Sentimentalitäten dagegen fremd, aber Johnny Forest wird von Gianni Garko trotz seiner vorhandenen Schießkünste nicht als Übermensch verkörpert, sondern seinem kaltblütigeren Bruder in der Beachtung moralischer Grenzen unterlegen. Die Anfangssequenz, in der er seinem Beruf als Kopfgeldjäger auf kaltblütige Weise nachgeht, wirkt im Gesamtkontext entsprechend fremdartig, mehr an Garkos Vorgängerfilm "10,000 Dollari per un massacro" (10.000 blutige Dollar, 1967) erinnernd, den das fast identische Team ein knappes Jahr zuvor gedreht hatte.

Drehbuchautor Ernesto Gastaldi hatte schon zu den Giuliano Gemma-Filmen "Arizona colt" (1966) und "I giorni dell'ira" (Der Tod ritt Dienstags, 1967) originelle, die Western-Szenerie differenziert betrachtende Scripte vorgelegt, bevor er für "10,000 Dollari per un massacro" unter dem Regisseur Romolo Guerrieri das Drehbuch schrieb. Ein Großteil der daran beteiligten Filmschaffenden – darunter Claudio Camaso, der jüngere Bruder Gian Maria Volontés, Fernando Sancho und Nora Orlandi, die die sehr stimmige Filmmusik komponierte – waren auch bei "Per 100,000 Dollari ti ammazzo" wieder mit an Bord, weshalb beiden Filmen zurecht eine gewisse Verwandtschaft anzumerken ist. Doch neben Giovanni Fagos Regie, der hier seinen ersten Film und einzigen Italo-Western verantwortete, gibt es einen weiteren bemerkenswerten Unterschied. Erstmals war Sergio Martino nicht nur an der Produktion beteiligt, sondern schrieb gemeinsam mit Gastaldi das Drehbuch und begründete damit ihre lang andauernde Zusammenarbeit, während sein weiterhin mitwirkender Bruder Luciano Martino - schon seit vielen Jahren als Drehbuchautor tätig - ihre späteren Filme als Produzent begleitete. Ein typisches Beispiel für den fließenden Übergang vom Western-Genre der 60er Jahre zum Giallo, der erotischen Komödie und dem Poliziesco der 70er Jahre im italienischen Film.

Ob es an Sergio Martinos Mitarbeit am Drehbuch lag oder das Team insgesamt eine andere Intention verfolgte, bleibt ungewiss, aber "Per 100,000 Dollari ti ammazzo“ entwickelte sich - anders als sein konventionellerer Vorgänger - zu einem klassischen Drama zwischen zwei Brüdern, die die Tragik ihrer Familiengeschichte gleichzeitig verbindet und entzweit. Zwar werden typische Elemente des Italo-Western wie Schusswechsel, Duelle oder Folterungen verwendet, im Gesamtkontext nehmen sie aber nur eine der Handlung untergeordnete Rolle ein und werden nie zum Selbstzweck. Besonders Camaso als Clint gelingt es, seine innere Zerrissenheit spürbar werden zu lassen im Bewusstsein, Schuld an der Zerstörung seiner Familie auf sich geladen zu haben. Ein Gefühl, das auch Momente der Sympathie für den Bruder zulässt - etwa als dieser ihm gegen den Bandenboss Jurado (Pietro Lulli) hilft, dem Clint die Beute eines Überfalls auf einen Geldtransport abgejagt hatte – das aber genauso schnell in Hass umschlägt, als wollte er jede Erinnerung an frühere gemeinsame Zeiten mit Gewalt unterdrücken. Dagegen bleibt Gianni Garko in seinem Spiel eindimensionaler als der anständige Sohn, dessen Prämisse, den Wunsch seiner Mutter zu erfüllen, ihn für seinen Bruder berechenbar werden lässt. Erst nach einer langen Leidenszeit erhält er die Legitimation, seinem Bruder entgegen zu treten.

Schon die Orgelklänge zu Beginn, die die beeindruckende Filmmelodie einleiten, vermitteln die Tragik in "Per 100,000 Dollari ti ammazzo“, dessen zwei Protagonisten nur äußerlich die klassischen Rollen eines Kopfgeldjägers und eines skrupellosen Verbrechers einnehmen. Hinter dieser Fassade verbergen sich zwei Menschen, deren Charaktere ohne die für den Italo-Western typische Stilisierung auskommen und die am Ende wieder vereint sind – am Meer, wo ihr gemeinsamer Weg einmal begann.

"Per 100,000 Dollari ti ammazzo" Italien 1968, Regie: Giovanni Fago, Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Luciano Martino, Sergio MartinoDarsteller : Gianni Garko, Claudio Camaso, Piero Lulli, Fernando Sancho, Claudi Lange, Bruno Corazzari, Laufzeit : 92 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Giovanni Fago:

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.