Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Samstag, 14. September 2013

L'assassino ha riservato nove poltrone (Der Mörder hat neun Parkettsitze reserviert) 1974 Giuseppe Bennati

Inhalt: Nach einer Party macht sich eine illustre Gesellschaft auf, um sich bei Nacht das leer stehende, aber sehr gut erhaltene Theatergebäude von Patrick Davenant (Chris Avram) anzusehen. Er wird von seiner jungen Verlobten Kim (Janet Agren) begleitet, die eine heimliche Liebesbeziehung mit Russel (Howard Ross) pflegt, die seine Töchter Lynn (Paola Senatore) und Rebecca (Eva Czemerys) ahnen. Besonders Lynn, die ihren Vater wie einen Geliebten behandelt, obwohl sie sich selbst in Begleitung von Duncan (Gaetano Russo) befindet, hält wenig von Kim, während ihre Schwester offen die Beziehung zu Doris (Lucrezia Love) pflegt. Auch Vivian (Rosanna Schiaffino), die Partnerin von Albert (Andrea Scotti), steht in einem nicht gelösten Verhältnis zu Patrick.

Als er beinahe von einem Balken erschlagen wird, dessen Halterung offensichtlich durchgeschnitten wurde, äußert er seinen Verdacht gegenüber Einigen der Beteiligten, weshalb Russell erbost das Haus verlassen will. Doch alle Türen sind verschlossen und es gelingt ihm nicht aus dem Gebäude zu gelangen. Bevor er sich deshalb an Patrick wenden kann, wird er Zeuge, wie Kim, die eine Szene auf der Bühne gespielt hatte, in der sie Selbstmord beging, tatsächlich stirbt – ein Dolch steckt in ihrem Rücken…


Als "L'assassino ha riservato nove poltrone" (Der Mörder hat neun Parkettsitze reserviert) im Mai 1974 in die italienischen Kinos kam, hatte der "Giallo" seine Hochphase schon hinter sich. Genre-Impresario Mario Bava hatte seinen prägenden Stil in "Lisa e il diavolo" (Der Teuflische) bereits 1973 rekapituliert, Sergio Martino sich inzwischen dem Poliziesco zugewandt ("Milano trema: la polizia vuole giustizia" 1973) und Dario Argento den klassischen "Giallo" individuell weiter entwickelt ("Profondo rosso" (Rosso - die Farbe des Todes, 1975)), weshalb "L'assassino ha riservato nove poltrone" außerhalb Italiens kaum noch vermarktet wurde. Zudem war Regisseur Giuseppe Benati, der seit den frühen 60er Jahren ("Congo vivo" 1962) nur noch einmal für das italienische Fernsehen gearbeitet hatte, wenig bekannt und erntete auch in Italien Kritik für seinen späten, sein Filmschaffen abschließenden Schritt zum "Giallo".

Auch die Story bot von ihrer Anlage her nichts Neues. Wie schon die Zahl "Neun" im Filmtitel andeutet, erzählt "L'assassino ha riservato nove poltrone" die bekannte Geschichte von zehn Menschen, die sich unentrinnbar an einem Ort befinden, an dem sie der Reihe nach ermordet werden. Die Sitze - "poltrone" bezeichnet genauer die Sperrsitze oder Parkettplätze - weist direkt auf die eindrucksvolle Location hin, in der die Handlung stattfindet. Ein Jahrhunderte altes Theatergebäude - ein unübersichtlicher, mondäner Ort mit seiner Bühnenkonstruktion und dem Schnürboden, den verwinkelt gelegenen Nebenräumen und dem darunter gelegenen Gewölbe, der nicht zum ersten Mal als Schauplatz für die dem Theaterspiel nahen Abläufe eines "Giallo" diente. Ähnliches gilt für die Balance zwischen Realität und Mysterium, die zu einem festen Bestandteil des Genres wurde. So auch hier, denn als die Protagonisten nach dem ersten Mord, der ganz klassisch auf der Bühne stattfindet, versuchen, die Polizei zu benachrichtigen, müssen sie feststellen, dass sie nicht mehr aus dem Theater heraus können - auch die Schlüssel helfen ihnen nicht, dem hermetisch abgeriegelten Gebäude zu entrinnen.

Zudem befindet sich ein Mann unter ihnen, den Niemand näher kennt - zwei Frauen hatten ihn nach der Party mitgenommen, von der aus die Gruppe zu dem alten Theatergebäude aufgebrochen war, welches Patrick Davenant (Chris Avram), dessen zwei erwachsene Töchter Lynn (Paola Senatore) und Rebecca (Eva Czemerys) ebenfalls zu seinen Begleiterinnen gehören, geerbt hatte. Die Szenen zu Beginn, in denen sich die Lichter ihrer Autos einen Weg durch die Nacht suchen, während die Kamera schon ihre Beziehungen im Inneren erfasst, erinnert an den 1971 erschienenen "Qualcosa striscia nel buio" (Etwas kriecht im Dunklen), der noch weitere Ähnlichkeiten aufweist - die nächtliche Zusammenkunft von zehn Frauen und Männern, größtenteils aus wohlhabenden Gesellschaftsschichten stammend, an einem von der Umwelt abgeschlossenen Ort, bei dem es sich bei dem älteren Film zwar um eine alte Villa auf dem Land handelte, die aber optisch ähnlich eingefangen wurde.

Bei diesen Parallelen handelte es sich um keinen Zufall, denn Kameramann Giuseppe Aquari war entscheidend an beiden Filmen beteiligt. Auch die übrige Crew bestand aus Genre erfahrenen Mitarbeitern, besonders Komponist Carlo Savina, ständiger Begleiter der Filme Fellinis, und sowohl für die Musik zu Bavas "Lisa e il diavolo", als auch zu "The godfather" (Der Pate, 1972) verantwortlich, dem es schon in den ersten Minuten gelingt, den Betrachter mit einer dichten Atmosphäre aus scheinbarer Harmonie und 70er Jahre Feeling in seinen Bann zu ziehen. Kostümdesigner und Dekorateur Enzo Eusepi hatte 1972 "Ludwig II." von Luchino Visconti ausgestattet und Autor Biagio Proietti war am Drehbuch zu Duccio Tessaris "La morte risale a ieri sera" (Das Grauen kam aus dem Nebel (1970)) beteiligt.

Die Darstellerriege wurde von Rosanna Schiaffino, bekannt seit den 50er Jahren ("La sfida" (Die Herausforderung, 1958, von Francesco Rosi)), die hier in einer ihrer letzten Rollen zu sehen war, und dem ebenfalls Bava-erfahrenen Chris Avram ("Reazione a catena" (Im Blutrausch des Satans, 1971)) angeführt, der den Erben und geheimnisvollen Mittelpunkt der Gruppe spielte, auf den zu Beginn ein misslungener Mordanschlag verübt wird. Mit Janet Agren, Eva Czemerys, Lucrezia Love und Paola Senatore verfügt der Film zudem über vier attraktive, in Erotik- und Genrefilmen der 70er und 80er häufig besetzte Darstellerinnen, die dem Film sowohl optisch, wie inhaltlich einen erotisch-promiskuitiven Charakter verliehen, der zwar mit inzestiösen und lesbischen Elementen spielte, diese aber geschickt in die inneren Abläufe integrierte, ohne sie vordergründig zu benutzen.

Obwohl die heimlichen Liebesbeziehungen dazu Anlass gäben, bleiben offene Animositäten größtenteils aus. Selbst als die Gruppe schon deutlich reduziert wurde, kommt es nicht zu den aus ähnlichen Konstellationen bekannten eskalierenden Streitigkeiten. Der Film verzichtet entsprechend auf spezifische Identifikationen - weder existieren ausgesprochene Sympathieträger, noch typische Feindbilder - wodurch sowohl die Reihenfolge der Opfer, als auch der mögliche Täter im Ungewissen bleiben. Zudem kommt es zu keiner explizit gezeigten Gewalt, werden die Opfer nicht optisch zerstört. Das Schlagen eines Nagels durch eine weibliche Hand wird letztlich zum Teil eines Arrangements zweier toter Frauen, das Schönheit und Verbundenheit ausstrahlt - nicht ohne Grund warb das Filmplakat mit dieser skulpturellen Anordnung.

Warum der Täter sich diese Mühe gab, bleibt ebenso offen, wie eine Vielzahl der hier gezeigten Abläufe nicht näher erklärt werden. Sicherlich ein Grund für die Kritik an Bennatis Film, die aber nicht anerkennt, dass das Gewicht des Films auf seiner dichten, ganz in der Tradition des "Giallo" mit Licht und Farben spielenden Bildsprache liegt, die dem Ort gewidmet ist, an dem der Film ausschließlich spielt - dem Theater und damit einem Schauspiel, für das der Mörder neun Plätze in der ersten Reihe reserviert hat. "L'assassino ha riservato nove poltrone" verwendete bekannte Muster im Rahmen einer konventionellen Geschichte, kehrte die Intention aber um. Keine menschlichen Regungen wie Rache oder Habsucht forcierten hier letzlich das atmosphärisch mitreißende Geschehen, sondern eine übergeordnete Macht - wie die Hand eines Regisseurs.

"L'assassino ha riservato nove poltrone" Italien 1974, Regie: Giuseppe Bennati, Drehbuch: Biaggo Proietti, Paolo Levi, Giuseppe Bennati, Darsteller :  Rosanna Schiaffino, Chris Avram, Paola Senatore, Janet Agren, Lucretia Love, Eva Czemerys, Laufzeit : 99 Minuten

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.