Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Montag, 14. Mai 2012

L'onorevole Angelina (Abgeordnete Angelina) 1947 Luigi Zampa


Inhalt: Angelina Bianchi (Anna Nagnani) und ihr Mann Pasquale (Nando Bruno) leben mit ihren fünf Kindern innerhalb eines römischen Quartiers, dessen Häuser während der Zeit des Faschismus nicht fertiggestellt wurden. Obwohl ihr Mann als Polizist arbeitet, haben sie kaum genug Geld für die Ernährung ihrer Kinder, noch können sie sich eine bessere Wohnung leisten. Journalisten kommen tagsüber, um sensationslüstern über die primitiven Bedingungen zu berichten, unter denen die Menschen hier leben - keine Innentüren, keine Bäder und kein fließendes Wasser, selbst an die öffentlichen Verkehrsmittel sind sie nicht angeschlossen.

In unmittelbarer Nähe entstehen neue Wohnblocks, aber die Arbeiten daran ruhen schon einige Zeit. Zudem nutzt der einzige Händler die Notlage der Bewohner aus und hortet die zugeteilten Lebensmittel heimlich, um sie teurer auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Als Angelina keine Pasta für ihre Familie kaufen kann, durchschaut sie sein Spiel und es gelingt ihr, gemeinsam mit den anderen Frauen, sein Lager zu plündern. Da er selbst unrecht gehandelt hat, kann er sie dafür nicht verhaften lassen. Davon ermutigt, beginnt Angelina, auch gegen die anderen Missstände anzukämpfen...


Seitdem Anna Magnani in Roberto Rossellinis "Roma, città aperta" (Rom, offene Stadt) 1945 eine emotional beeindruckende Vorstellung gegeben hatte, war sie für die im realistischen Stil inszenierenden Regisseure der Nachkriegszeit in den Focus gerückt. Mit Alberto Lattuada drehte sie 1946 "Bandito", Rossellini arbeitete erneut 1948 mit ihr zusammen in "Amore", Luchino Visconti besetzte sie in der Hauptrolle in "Bellissima" 1951 und noch 1962 war sie für Pier Paolo Pasolini "Mamma Roma", aber sie blieb auch den komödiantischen Rollen treu, in denen sie seit Mitte der 30er Jahre mehrfach reüssiert hatte. Das Spiel Anna Magnanis befand sich meist auf dem schmalen Grat zwischen Drama und Komödie. Nur wenige Darsteller konnten in ihren Rollen die fließenden Grenzen zwischen Trauer und Freude so deutlich werden lassen.

In den Werken des Neorealismus, besonders Mitte der 40er Jahre, wurde die Darstellung der offensichtlichen Missstände, basierend auf dem Wunsch nach einem politisch, gesellschaftlichen Wandel, noch sehr ernsthaft inszeniert, während Luigi Zampa auch Anna Magnanis komödiantisches Talent für seinen Film nutzte - vielleicht liegt darin eine Erklärung dafür, warum "L'onorevole Angelina" (Abgeordnete Angelina) heute nicht zum Kanon des Neorealismus gezählt werden, obwohl der Ausgangspunkt der Handlung, die Zustände im römischen Quartier „Pietralata“ nach dem Ende des Faschismus, bemerkenswert realistisch dargestellt ist.

Das Haus, in dem Angelina (Anna Magnani) mit ihrem Mann Pasquale (Nando Bruno) und ihren fünf Kindern lebt, gehörte zu einer Siedlung, die noch während der Mussollini - Zeit entstanden war, aber nie fertig gestellt wurde. Zampa lässt die Kamera von außen eindringen, zeigt den nackten Beton der herunter gekommenen Gebäude und wirft den Blick auf die spärlich eingerichteten Innenräume, wo die Bewohner auf Matratzen schlafen, ohne durch Innentüren getrennt zu sein. Weder gibt es ein Bad, noch fließendes Wasser. Die Authentizität dieser Zustände unterstrich Zampa noch durch die Journalisten, die diese unzumutbaren Lebensverhältnisse sensationslüstern auf Bildern festhielten. Dass die Gebäude zudem in das Hochwassergebiet des nahe gelegenen Flusses gebaut worden waren und regelmäßig überschwemmt wurden, gehört heute zur römischen Stadtgeschichte.

Der Grund, warum Menschen an einem solchen Ort leben müssen, lässt der Film schon im ersten Dialog deutlich werden – sie sind zu arm, um sich eine bessere Wohnung leisten zu können. Angelina und ihr Mann liegen schlaflos in ihrem Bett, in der Sorge um die Ernährung ihrer fünf Kinder, obwohl Pasquale sogar einen Job als Polizist hat. Zampa entwirft ein komplexes Bild einer Nachkriegszeit, in der es einerseits an den notwendigen Dingen fehlte, während andererseits Geschäftemacher diese Notlage ausnutzten. So hortet der einzige Händler am Ort seine Waren, um sie für deutlich mehr Geld auf dem Schwarzmarkt verkaufen können, während die Anwohner mit ihren geringen Geldmitteln vor seinem leeren Laden stehen. Als Angelina diesen Plan durchschaut und sie gemeinsam mit den anderen Frauen dessen Lager plündert, gewinnt sie erstmals an Reputation innerhalb der Mitbewohner, besonders als sich herausstellt, das sie nicht verhaftet wird, da der Händler selbst gegen das Gesetz verstoßen hatte.

Parallel entsteht der Konflikt mit ihrem Mann, der nichts von dem Essen haben will, das aus gestohlenen Zutaten gekocht wurde. Es ist nicht nur sein Beruf als Polizist, der ihn mit den Gesetzesübertretungen konfrontiert, sondern auch als Mann sieht er seine Position gefährdet, die ihn immer mehr dazu zwingt, sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Doch das hält Angelina nicht davon ab, weitere Rechte einzufordern. Als der Fluss wieder über das Ufer tritt und ihre Gebäude unbewohnbar werden, besetzt sie mit den übrigen Einwohnern des Quartiers einen nahe gelegenen mehrstöckigen Neubau, der als Ersatzbau geplant worden war, dessen Bauarbeiten aber schon einige Zeit zum Stillstand gekommen waren. Dieser Baustopp hatte ebenfalls spekulative Hintergründe, weshalb der reiche Geschäftsmann und Besitzer des Gebäudes Callisto Garrone (Armando Migliari) sich persönlich um den Konflikt kümmert und dabei taktisch klug vorgeht.

Angesichts dieses Szenarios hätte „L’onorevole Angelina“ ein pessimistischer Film werden können, nicht nur über das ergebnislose Anrennen des einfachen Bürgers gegenüber kapitalistischen Interessen, sondern auch über die mangelnde Solidarität unter den Armen und die Bereitschaft jedes Einzelnen, sofort den eigenen Vorteil zu nutzen. Tatsächlich beschreibt Zampas Film die Realität genau in diesem Sinn, aber er hinterlässt einen anderen Eindruck, der nur Anna Magnanis Spiel zu verdanken ist. Das ist einerseits konsequent, denn wäre sie weniger authentisch und mitreißend, nähme man ihr ihre Position als Anführerin, die dank großen Zuspruchs in der Bevölkerung die Chance erhält, als Abgeordnete ins Stadtparlament zu gelangen, gar nicht ab. Andererseits nimmt ihre emotionale Art und ihre tatsächliche Ehrenhaftigkeit (der italienische Begriff „onorevole“ bedeutet auch „ehrenhaft“, sozusagen als Grundeigenschaft eines Abgeordneten), die auch den Versuchungen der Führungsschicht widersteht, den Konflikten die Spitze.

Auch die kleine Liebesgeschichte zwischen Angelinas fast erwachsener Tochter und dem Sohn des Geschäftsmanns (Franco Zeffirelli) vermittelt einen leichteren Grundton, wie auch die Auseinandersetzung mit ihrem Mann Pasquale. Als dieser, demoralisiert von seiner Rolle als Hausmann, sie verlassen will und um eine Versetzung bei der Polizei bittet, kehrt sie reumütig zu ihm zurück und verzichtet auch auf ihre Position als Abgeordnete, um sich wieder ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter zu widmen. Äußerlich erinnert diese Konstellation an klassische Komödien, in denen am Ende die Konvention siegt, aber Anna Magnanis Fähigkeit, selbst kritischsten Momenten noch positive Aspekte abzugewinnen - etwa als ihre Mitbewohner sich von ihr verraten fühlen und auf sie einstürmen – schließt auch das Gegenteil ein. Als sie ihrem Mann mitteilt, das alles in seinem Sinn geschehen wird, und sie ihre Kinder dazu auffordert, wieder Respekt vor ihrem Vater zu haben, wirkt das keinen Moment unterwürfig, sondern selbstbewusst und bestimmend.

Trotz des realen Hintergrunds, hinterlässt „L’onorevole Angelina“ nicht den tragischen, aufrüttelnden Eindruck anderer neorealistischer Werke dieser Zeit, bedingt durch die menschlich, emotionalen Verwicklungen, die sich letztlich in Wohlgefallen auflösen, was dem Film ein wenig die Reputation als zeitkritisches Werk nahm. Dabei verbirgt sich hinter dem aufregenden, schnellen Geschehen ein Stillstand, der pessimistischer nicht sein könnte. Zampa beschließt sein Werk mit der gleichen Szene, mit der er begann – während die Kinder in den provisorischen Räumen auf ihren Matratzen liegen, kann das Ehepaar Angelina und Pasquale vor Sorgen nicht schlafen. Es ist viel passiert – es wurde gekämpft, gestreikt, gestritten, eingesperrt, sich geeinigt und versöhnt – aber geändert hat sich nichts. In Zampas Film fällt das nur nicht so schnell auf – wie im richtigen Leben.

"L'onorevole Angelina" Italien 1947, Regie: Luigi Zampa, Drehbuch: Piero Tellini, Suso Cecchi d'Amico, Darsteller : Anna Magnani, Nando Bruno, Armando Migliari, Franco Zeffirelli, Ave Ninchi, Laufzeit : 88 Minuten


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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.