Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Mittwoch, 24. März 2010

Todo modo 1976 Elio Petri


Inhalt: Einmal im Jahr begeben sich führende Politiker, Industrielle, Bankiers und weitere Mitglieder der christlichen Partei an einem abgeschiedenen Ort in Klausur - San Ignazio di Loyola, einem seit Jahrhunderten bestehenden Orden, der schon lange als Quelle der spirituellen Erneuerung für die herrschenden Kasten gilt. Diesmal haben sich besonders viele Mitglieder angesagt, da Italien gleichzeitig von einer Epidemie heimgesucht wird, der schon eine Vielzahl von Menschen zum Opfer fielen.Als Erster erscheint schon am Vorabend der Klausur "M" (Gian Maria Volonté), der italienische Präsident, der von dem Leiter des Ordens, Pater Don Gaetano (Marcello Mastroianni) begrüsst wird.

Erste Unstimmigkeiten treten auf, als Voltrano (Ciccio Ingrassia), die rechte Hand Don Gaetanos, mit einigen Politikern nicht am selben Tisch sitzen will, weil er sie für Diebe und Betrüger hält. Nur von "M" hat er eine hohe Meinung, weshalb er ihm am Abend noch Fotografien als Beweise übergibt, ohne genau zu sagen wofür. "M" nimmt diese Beweise entsprechend nicht ernst. Als am nächsten Tag alle Würdenträger eingetroffen sind und die Klausur beginnt, erinnert Don Gaetano daran, dass an diesem Ort Niemand mehr über Privilegien verfügt. Doch nicht nur, dass bei der Morgenmesse die Kommunion ausfällt, weil Wein und Hostien gestohlen wurden, sondern auch der Verzicht auf Nahrung und damit der Zwang zum Fasten, fordert erste Proteste heraus.. 


Der 1976 entstandene Film "Todo modo" ist in vielerlei Hinsicht Zentrum und Bindeglied einer langjährigen künstlerischen und politischen Epoche, der einige der wichtigsten Protagonisten dieser Phase - sowohl konkret in der künstlerischen Zusammenarbeit, als auch fiktiv im Film selbst - miteinander verband. Er entstand in der Hochphase der so genannten "Anni di piombo" ("bleierne Jahre"), Mitte der 70er Jahre in Italien, als die terroristischen Akte zunahmen und Ministerpräsident Aldo Moro den "historischen Kompromiss" anstrebte, eine Zusammenarbeit zwischen der christdemokratischen Regierungspartei und der kommunistischen Partei, um eine Übernahme des Landes durch radikale Kräfte zu verhindern.

Gemeinsam mit "Cadaveri eccellenti" (Die Macht und ihr Preis, 1976) von Francesco Rosi und "Io ho paura" (Ich habe Angst, 1977) von Damiano Damiani, bildet "Todo modo" eine Art Dreigestirn der politischen Analyse dieser Phase. Obwohl die Regisseure nie zusammen arbeiteten, sind die Parallelen in der Entstehung offensichtlich - Rosis Film entstand ebenfalls nach einer Buchvorlage Leonardo Sciascias und Gian Maria Volonté übernahm auch bei Damiani die Hauptrolle. Während "Io ho paura" die Ereignisse aus der Sicht des Bürgers, am Beispiel eines einfachen Polizisten, schildert, "Cadaveri eccellenti" die Verstrickungen von Justiz und Politik erfahrbar werden lässt, konzentriert sich Petri ausschließlich auf die Machthaber - führende Politiker, Industrielle, Bankiers und Journalisten.

Doch nicht nur diese politische Phase spiegelt sich in "Todo modo" wider, sondern auch eine Entwicklung im Schaffen Leonardo Sciascias, gemeinsam mit Gian Maria Volontè. Beide hatten schon 1967 mit Elio Petri "A ciascuno il suo" (Zwei Särge auf Bestellung) gedreht, der sich mit den gesellschaftlichen Verflechtungen in Sciascias sizilianischer Heimat beschäftigte. Trotz der lokalen Verwurzelung, betrachtete der Film das Eindringen von Macht in private gesellschaftliche Strukturen als generelles Problem. "Todo modo" ist entsprechend die konsequente Weiterentwicklung dieser Thematik bis zur Spitze der italienischen Regierung, aber durch die Ereignisse um Aldo Moro, der 1978 von den "Roten Brigaden" ermordet wurde, erhielten viele der Anspielungen in Petris Film eine zusätzliche Bedeutung. Unter diesem Gesichtspunkt ist ihre weitere Zusammenarbeit 1986 beim Film "Il caso Moro" (Der Fall Moro) zu verstehen, der unter Regisseur Guiseppe Ferrara entstand (Elio Petri war leider schon 1982 verstorben). Sciascia schrieb das Buch und Volontè spielte wieder Aldo Moro, den er in Gestik und Mimik unzweifelhaft schon in "Todo modo" als "M" gegeben hatte.

Angesichts dieser Begleitumstände, stellt sich die Frage, warum gerade „Todo modo“ heute so gut wie unbekannt ist, obwohl er direkt ins Zentrum der Macht zielte. Vordergründig lag das sicherlich daran, dass der Film nach der Ermordung Aldo Moros für Jahrzehnte von den Bildschirmen und Kinoleinwänden verschwand. Zu sehr zielte der Film darauf, die Figur des Ministerpräsidenten ins Lächerliche zu ziehen, zu konkret war das tödliche Attentat, dem er am Ende erliegt (allerdings als Letzter von mehr als hundert Opfern), zu nah kam der Film der These, dass die Hauptfeinde Moros im eigenen Lager zu finden sind, als das der Film noch eine wertfreie Betrachtung erfahren durfte. Doch der Versuch, entlarvende Filme einfach im Archiv verstauben zu lassen, ist schon oft daran gescheitert, dass sich die Verbreitung eigene Wege suchte. Da „Todo modo“ zwei Jahre vor Aldo Moros Entführung erschien, eine denkbare Variante.

Dass es nicht dazu kam, liegt am eigentlichen Grund für seine Unpopularität – „Todo modo“ vereinbart die unterschiedlichen Stile einer Satire und eines typischen Giallo im Gewand eines Kammerspiels. Nur unmittelbar zu Beginn und am Ende des Films findet die Handlung außerhalb der unterirdischen, bunkerähnlichen Anlage statt, die zum Komplex des San Ignazio di Loyola Ordens gehört. Der größte Teil des Films spielt in langen, schmalen Gängen, kleinen, spartanisch eingerichteten Zimmern und den zwar großflächigen Versammlungsräumen, die aber dank ihrer verhältnismäßig geringen Höhe einen niederdrückenden Eindruck hinterlassen. Hier versammeln sich einmal jährlich führende Vertreter der christdemokratischen Partei, einflussreiche Industrielle, Bankiers und Journalisten, um unter der Hoheit der katholischen Kirche in einer Art Selbstreinigung, Kraft für das kommende Jahr zu sammeln und innere Strukturen zu pflegen - eine schon seit Jahrhunderten bestehende Tradition der mächtigsten Personen des Landes. Und eine konkrete Anspielung auf Geheimbünde und Logen.

Als „M“ (Gian Maria Volonté) als Erster am Vorabend der dreitägigen Klausur eintritt, wird durch einen Lautsprecher vor einer Epidemie gewarnt, der schon einige Menschen in Italien zum Opfer fielen. Dieses Szenario deutet kurz auf ein übergeordnetes Drama hin, aber die Folgen der Epidemie werden nur ein, zweimal von „M“ angesprochen, später gibt es auch den Verdacht, dass von den Politikern ebenfalls welche der Krankheit zum Opfer gefallen wären, aber wirklich von Bedeutung ist sie nicht. Viel mehr steht diese Katastrophe beispielhaft für den Zustand eines Landes, um das man sich verstärkt kümmern müsste. Stattdessen erschließt sich daraus erst die Unfähigkeit der dafür Verantwortlichen, die sich hauptsächlich in Machtspielchen, persönlichen Interessen und verletzten Eitelkeiten ergehen. Diese werden vor allem dadurch hervorgerufen, weil sämtliche Teilnehmer der Klausur ihre sonstigen Machtbefugnisse verlieren. Sie alle stehen unter der Knute von Pater Don Gaetano (Marcello Mastroianni), der ihnen ihre Sünden lautstark vorhält, sie zum Fasten zwingt, in dem er ihnen kein Essen mehr serviert, und damit zunehmend Widerstand hervorruft.

Mastroianni verleiht dieser Rolle eine Ambivalenz in der Kritik an den Mächtigen, die ihre Ironie daraus gewinnt, dass sie zwar die Wahrheit klar ausspricht, aber letztlich nur eine Funktion erfüllt, der sich die Teilnehmer an der Klausur freiwillig stellen. Zum Nachdenken zwingt seine Kritik dann auch beinahe Niemand, denn die „Tage der Selbstfindung“ sind für die meisten nur eine lästige Pflicht, der sie sich aussetzen, um ihre Kontakte zu knüpfen und Machtinteressen durchzusetzen. Im Vergleich zu dem Großteil der hier anwesenden Politikern und Industriellen, erscheint „M“ sympathisch, aber er wird von Volonté als ängstlicher, zur Bigotterie neigender Schwächling entworfen. Besonders im Zusammenspiel mit seiner Frau, die er heimlich in das unterirdische Verlies schmuggeln ließ, gelingt Volonté die Studie eines Mannes, der sich einerseits an seiner großen Aufgabe berauscht, andererseits von inneren Zwängen beherrscht wird. Doch Petri und Sciascia belassen es nicht bei einer satirischen Überhöhung von Politcharakteren, sondern beginnen langsam, diese zu meucheln. Mit zunehmender Geschwindigkeit werden Leichen gefunden und immer, wenn sich ein Verdacht zu erhärten scheint, wird der Verdächtige selbst zum Opfer…

In dieser Konstellation wird die Situation des „historischen Kompromiss“ erkennbar, der die konservativen Kräfte des Landes spaltete. Seit den 90er Jahren steht fest, dass rechtsgerichtete Kreise die chaotischen Zustände in Italien bewusst förderten, um die Kommunisten, die damals sehr starke Unterstützung in der Bevölkerung erfuhren, zu diskreditieren. Dass Aldo Moro ausgerechnet in dieser Situation auf die kommunistische Partei zuging, um gemeinsam mit dieser an der Befriedung des Landes zu arbeiten, konnte bei interessierten Kreisen seiner Partei nur für Missstimmung sorgen. „Todo modo“ schildert konkret diese Gegenbewegung in dessen eigener Partei, aber auch von Seiten der Kommunisten blies dem Präsidenten der Wind ins Gesicht. Petri - wie Volonté selbst Mitglied der Kommunistischen Partei - wird zitiert, dass die Kommunisten den „historischen Kompromiss“ nach außen kritisierten, intern aber Sympathien dafür hatten. Diese widersprechenden Gefühle zeigen sich in der Gestaltung der Figur des „M“, dem zwar Sympathien entgegen gebracht werden, der aber gleichzeitig lächerlich gemacht wird. Der bis heute nicht endgütig aufgeklärte Mord an Aldo Moro, an dem auch der Geheimdienst mitgewirkt hatte und der diversen Parteigenossen nicht ungelegen kam, erzeugte ein Umdenken bei Sciascia und Volonté. Ihr 1986 entstandener, gemeinsamer Film „Il caso moro“ (Der Fall Moro), sollte sich Aldo Moro ernsthafter nähern und mehr dessen private Seite betonen.

Diese realen Vorkommnisse verleihen dem Film eine gewisse Tragik, weil er zwar bestehende Strukturen erkannte, diese aber für eine böse Satire nutzte, ohne die ernsthafte Gefahr dahinter voraussehen zu können. Das erschwert den Zugang zu einem Film, dessen Nähe zur damaligen Realität zudem Vorkenntnisse vorauszusetzen scheint, und der in seiner konkreten Aussage überholt wirkt. Dagegen können Damianis „Io ho paura“ und Rosis „Cadaveri eccellenti“ mit ihren an Polizei – Thrillern angelegten Szenarien bis heute ein größeres Publikum ansprechen, obwohl auch diese Filme direkt auf die damalige Situation in Italien reagierten.

Doch diese Betrachtung wäre oberflächlich, denn prinzipiell handelt es sich bei „Todo modo“ um das eigentliche Schlüsselwerk, das einen generellen Blick auf eine Führungselite wirft, deren grundsätzliches Verhalten sich bis in die Gegenwart nicht verändert hat. Angesichts der Bemühungen der Berlusconi-Regierung um Gesetze, die vor allem eigene Verfehlungen vertuschen sollen, während das Land unter der Finanzkrise leidet, wirkt der Vergleich mit der tödlichen Epidemie keineswegs übertrieben, aber „Todo modo“ nur auf Italien zu beschränken, wäre selbstgefällig und ignorant. Großartig gespielt, bis ins Detail genau sezierend, ohne Anspruch auf politische Neutralität, aber dafür eine makabre Lösung anbietend, die von der Wirklichkeit eingeholt wurde.


"Todo modo" Italien 1976, Regie: Elio Petri, Drehbuch: Elio Petri, Leonardo Sciascia (Roman), Darsteller : Gian Maria Volonté, Marcello Mastroianni, Michel Piccoli, Ciccio Ingrassia, Mariangela Melato, Laufzeit : 123 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Elio Petri:

Mittwoch, 10. März 2010

Paranoia 1970 Umberto Lenzi

Inhalt: Gerade erst nach einem Rennunfall aus dem Krankenhaus entlassen, folgt Helen (Carroll Baker) einer Einladung nach Spanien. Diese stammt von ihrem Ex-Mann Maurice (Jean Sorel), den sie seit der Trennung vor drei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Bis heute verfolgten sie die damaligen Ereignisse, denn Maurice hatte sie verlassen, worauf sie versuchte, ihn umzubringen.

Doch als sie in Spanien ankommt, muss sie feststellen, dass die Einladung nicht von ihrem Ex-Mann stammte, sondern von dessen neuer Frau Constance (Anna Proclemer). Während sich Maurice, nach der ersten Überraschung, charmant wie immer, seiner früheren Frau annimmt, hegt Constance andere Beweggründe. Sie hat inzwischen genug von dem Playboy, von dem sie sich ausgenutzt und betrogen fühlt, und betrachtet Helen als Gleichgesinnte, mit der sie deren damaligen Tötungsversuch gemeinsam wiederholen möchte...

Der Vorspann in seiner schicken Negativ - Optik, untermalt von einem zeitgenössischen Pop - Song, gibt gleich die Richtung für Umberto Lenzis "Paranoia" vor - "Styling over substance". Hier zählt nur die Fassade, die in modernen Späte - 60er Jahre -Farben schillert. Nur die äußere Wirkung zählt, der Anschein von Schönheit und Reichtum, betont noch durch die scheinbar omnipräsente Canon - Kamera, die die attraktive Hülle in Bildern festhält.

Und Carroll Baker als Helen gibt das Medium - blond, schön und eine geniale Mischung aus cool und verletzlich. Wenn sie zu Beginn den Helm über ihre blonde Mähne stülpt, in den Rennwagen steigt und über die Strecke rast, wirkt das wie die ideale Symbiose aus dauerhaftem Spaß und Erfolg, aber nur wenige Runden später erleidet sie einen schweren Unfall. Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, „leiht“ sie sich tough den Fiat Spider eines Bekannten und fährt nach Spanien zu ihrem Ex-Mann Maurice Sauvage (Jean Sorel), der sie dorthin eingeladen hatte. So glaubt sie zumindest, aber als dieser überrascht reagiert, als er seine Ex-Frau nach drei Jahren zum ersten Mal wiedersieht, erfährt sie schnell, wem sie diese Einladung tatsächlich zu verdanken hat. Constance Sauvage (Anna Proclemer), seine neue Frau, hatte nicht nur den Brief gefälscht, sondern zeigt sich auch sonst sehr gut informiert über Helens Vergangenheit. So weiß sie auch, dass Helen ihren Mann umbringen wollte, als dieser sie verließ, was sie für ihre eigenen Intentionen nutzen möchte. Denn Constance fühlt sich von ihrem Mann ausgenutzt und will ihn loswerden.

Jean Sorel spielt den Playboy Maurice in einer überzeugenden Mischung aus Charme und Egoismus, dabei aber nie so weit über die Strenge schlagend, dass er unsympathisch wirkt. Im Gegenteil fügt er sich mit seinem makellosen Körper und dem Dauerlächeln geradezu ideal in eine Luxusumgebung, die auch von allen anderen Beteiligten nicht weniger für ihre eigenen Zwecke genutzt wird. Die reiche Constance hatte den jüngeren Mann sicherlich auch wegen seiner äußerlichen Vorzüge geheiratet, so dass ihre Reaktion, ihn umbringen zu wollen, übertrieben und beleidigt wirkt.

Lenzis eigentlicher Bluff liegt in der Figur der Helen. Selbstbewusst und emanzipiert wird sie von ihm angelegt, als eine sexuell offene Frau, die weiß, was sie will. Carroll Baker verfügt entsprechend über die meiste Screen – Time, befindet sich scheinbar im Zentrum des Geschehens und sorgt auch für die wenigen, ästhetischen Nacktszenen. Doch tatsächlich ist sie das Opfer einer Intrige, in die sie schon zu Beginn hineintappt, als sie der Einladung nach Spanien folgt. Als dann der Mordversuch an ihrem Ex-Mann misslingt, weil sie nicht in der Lage ist, die Harpune abzuschießen, nutzt dieser die Gelegenheit, stattdessen seine Ehefrau zu beseitigen. Zu diesem Zeitpunkt ist Helen längst wieder Maurice hörig und deckt mit ihrer Aussage die Unfall – Version, bei der Constance angeblich verunglückte. Als dann deren Tochter Susan (Marina Coffa) auftaucht, die nicht an einen Unfall glaubt und schnell bemerkt, dass Maurice und Helen wieder eine Affäre haben, wird es für sie zunehmend schwerer, das Lügengebäude aufrecht zu halten.

Die Story selbst ist trotz einiger überraschender Wendungen wenig originell und erinnert in der Schlussszene an die Highsmith – Umsetzung „Plein soleil" (Nur die Sonne war Zeuge, 1960). Ungewöhnlich daran ist, dass Lenzi hier ein Szenario entwickelt, das äußerlich geprägt wird durch fatale Liebe, Hass und Verrat, und dabei ohne übertriebene Emotionen auskommt. Nur der persönliche Vorteil scheint die Protagonisten anzutreiben, was dem gesamten Geschehen den Eindruck einer ästhetischen Hülle ohne die geringste Tiefe verleiht. Nur Helen ist in der Lage, Gefühle auszudrücken, aber ihre dadurch zunehmend passiver werdende Position macht deutlich, dass darin keine Zukunft liegt.

Wenn „Paranoia“ die Menschen beim Tanzen, am Swimming - Pool oder auf einem Segelschiff zeigt, modisch angezogen und sexuell offensiv agierend, dann ist der Film in einer Gegenwart angekommen, die schon sehr früh einen hemmungslosen Hedonismus propagierte. Der Film versteht sich in seiner gefälligen Art sicher nicht als reine Gesellschaftskritik, aber das Umberto Lenzi hier für ein vertrautes Szenario aus Liebe, Mord und Eifersucht diese abstrakte Umsetzung wählte, kann man nur als Kommentar zu den Veränderungen in der Gesellschaft verstehen.

"Paranoia" Italien, Frankreich, Spanien 1970, Regie: Umberto Lenzi, Drehbuch: Marcello Coscia, Bruno Di Geronimo, Darsteller : Carroll Baker, Jean Sorel, Anna Proclemer, Marina Coffa, Luis Dávila, Laufzeit : 90 Minuten



weitere im Blog besprochene Filme von Umberto Lenzi:
"L'uomo della strada fa giustizia" (1975)
"Roma a mano armata" (1976)
"Il trucido e lo sbirro" (1976)
"La banda del gobbo" (1978)
"Incubo sulla città contaminata" (1980)

Donnerstag, 4. März 2010

C'eravamo tanto amati (Wir waren so verliebt) 1974 Ettore Scola

Gemeinsam im Widerstand: Antonio, Gianni und Nicola
Inhalt: Antonio (Nino Manfredi), Gianni (Vittorio Gassman) und Nicola (Stefano Satta Flores) hatten gemeinsam im Widerstand gekämpft, aber als der Krieg vorbei war, trennten sich ihre Wege, denn Jeder ging wieder zurück in seine Heimatstadt. Erst ein paar Jahre später, nach den Wirren der Nachkriegszeit, sollten sich Gianni und Antonio in Rom wieder begegnen.

Antonio (Nino Manfredi) und Gianni (Vittorio Gassman)  mit Luciana 
Hierhin war Gianni gezogen, um sich als Anwalt selbstständig zu machen. Zufällig trifft er auf Antonio in einer Trattoria, der in der Nähe in einem römischen Krankenhaus arbeitet. Dabei lernt er auch Antonios Freundin Luciana (Stefania Sandrelli) kennen, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Seine Gefühle werden von ihr erwidert, weshalb es zu einer Trennung von Antonio kommt, der enttäuscht zurückbleibt. Doch auch die Beziehung zwischen Gianni und Luciana hält nicht lange, denn als er von dem reichen Unternehmer Romolo Catenacci (Aldo Fabrizzi) als Anwalt beauftragt wird, lernt er dessen Tochter Elide (Giovanna Ralli) kennen. Eine Beziehung mit ihr hätte erhebliche Vorteile für seine Karriere.

Auch der Dritte im Bunde, Nicola, ist inzwischen nach Rom gekommen, um dort als Filmkritiker zu arbeiten. Dafür hat er seine Frau und seinen kleinen Sohn zurückgelassen. Als er gemeinsam mit Antonio in ihrer Trattoria sitzen, taucht auch Luciana wieder auf...


Nicola (Stefano Satta Flores) mit Frau und Kind
Die Handlung in "C'eravamo tanto amati" (Wie waren so verliebt) verläuft über drei Jahrzehnte, beginnend in den letzten Kriegsjahren bis in die damalige Gegenwart Mitte der 70er Jahre. An den Lebensläufen dreier Männer, die gemeinsam im Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht kämpften, demonstrierte Regisseur Ettore Scola, der wie gewohnt gemeinsam mit Age und Furio Scarpelli das Drehbuch schrieb, beispielhaft die Entwicklung Italiens nach dem Krieg. Jeweils stehen sie prototypisch für unterschiedliche gesellschaftliche Positionen - der Durchschnittsbürger Antonio (Nino Manfredi), Sanitäter in Rom, der intellektuelle Nicola (Stefano Satta Flores), der Filmkritiken für eine Zeitung schreibt, und der Rechtsanwalt Gianni (Vittorio Gassman), der dank einer erfolgreichen Karriere zu den wohlhabenden Schichten aufsteigt.

Luciana (Stefania Sandrelli)
Diese Art der Zustandsbeschreibung eines Landes ist nicht ungewöhnlich. Beginnend mit einer Umbruchphase, wie in diesem Fall das Ende des Krieges, lässt sich am Lebenslauf von Menschen, in Bezug zu den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen eines Landes gesetzt, die soziale Entwicklung nachvollziehen. Doch solche äußerlichen Parameter interessierten Ettore Scola nur am Rande, der die unterschiedlichen Wege seiner drei Protagonisten weniger kontinuierlich, sondern mehr punktuell, teilweise unter großen Zeitsprüngen, verfolgte. Die historischen Ereignisse in Italien spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Die unmittelbare Umgebung und private Ereignisse beeinflussen das Leben des Einzelnen deutlich mehr, jede Entscheidung kann zu einer Richtungsänderung führen. Nicht zuletzt ist es die zunehmende mediale Beeinflussung, auf der Scolas Gewicht lag.


Federico Fellini und Marcello Mastroianni
Die Presse, das entstehende Fernsehzeitalter, aber besonders das Medium Film ziehen sich wie ein roter Faden durch die Handlung, werden eng miteinander verwoben, und machen deutlich, dass Ettore Scola hier auch seine eigene Geschichte erzählt. 1931 geboren, war er selbst noch zu jung für die konkreten Lebenswege seiner Protagonisten, aber die Zitate aus dem Filmschaffen Italiens, beginnend mit dem Neorealismus, der hier an Hand von Vittorio De Sicas „Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe, 1948) ausführlich behandelt wird, über die Nachstellung der Dreharbeiten zu der Brunnenszene in „La dolce vita“ (Das süße Leben, 1960) mit Fellini und Mastroianni als sie selbst, Zitaten aus Antonionis „L’eclisse (Liebe 1962) bis zu einer dokumentarischen Aufnahme De Sicas kurz vor dessen Tod 1974 (der zeitgleich entstandene Film ist ihm gewidmet), verlaufen parallel zu seiner eigenen Filmkarriere, die 1953 als Drehbuchautor begann.

Eine Vielzahl an Zitaten bereichern die Handlung, beginnend beim Filmtitel. Ihr Verständnis ist keine Voraussetzung für die Betrachtung des Films, aber sie lassen die persönliche Bedeutung der Thematik für Scola erkennen. Es ist entsprechend keine Spitzfindigkeit, die unpräzise Übersetzung des Filmtitels ins Deutsche zu kritisieren. Statt „Wir waren so verliebt“ heißt es wörtlich „Wir hatten uns sehr geliebt“. Das „verliebt“ im deutschen Titel spielte eindeutig auf die Figur der Luciana (Stefania Sandrelli) an, die kurz nach dem Krieg das Gefühlsleben von Antonio und Gianni durcheinander bringt. Scola meinte aber die Beziehung zwischen den Männern untereinander, denn deren gemeinsamer Kampf als Widerstandskämpfer ist als Ausgangssituation für die hier geschilderten Ereignisse sehr wichtig. Anders als etwa ein gemeinsamer Schulbesuch oder die Herkunft aus demselben Ort, drückt sich darin eine klare politische Haltung aus, die ein besonderes Mass an Solidarität und Zusammenhalt erwarten ließ. Und damit auch die Fallhöhe zwischen Erwartung und Realität ansteigen ließ.

Mit dieser für einen Filmtitel ungewöhnlichen Formulierung spielte Scola zudem auf Antonio Pietrangelis 1965 entstandenen Film „Io la conoscevo bene“ (Ich habe sie gut gekannt) an, zu dem er das Drehbuch geschrieben hatte. Nicht nur das Stefania Sandrelli hier erneut eine junge Frau spielte, die unbedingt Karriere beim Film machen will, der als ironischer Kommentar zu verstehenden Titel weist auch auf eine entscheidende Parallele in beiden Filmen hin - die Illusionen, nicht nur hinsichtlich der Filmkarriere der jungen Frau, sondern auch des Zusammenhalts der drei Männer. Dass sich ihre Wege unmittelbar nach dem Krieg trennten, war noch ihren verschiedenen Heimatstädten geschuldet, aber auch als sie wenige Jahre danach wieder in Rom aufeinander treffen, entsteht nie mehr die Freundschaft der Kriegsjahre.

Im Gegenteil lernt Gianni bei seinem ersten Wiedersehen mit Antonio dessen Freundin Luciana kennen. Sie sind noch kein Paar, aber an Antonios Intentionen gibt es keinen Zweifel, seit dem er die hübsche, junge Frau an seinem Arbeitsplatz im Krankenhaus kennen lernte. Gianni und Luciana verlieben sich sofort ineinander, was sie nach einer kurzen Zeit der Heimlichkeit auch Antonio beichten, der verständlicherweise wenig erfreut reagiert. Schon zu diesem Zeitpunkt, Ende der 40er Jahre, gibt es kaum noch Gemeinsamkeiten zwischen Antonio und Gianni, die sich danach nur noch selten begegnen. Erst in der Gegenwart des Films, als einleitende Klammer, sieht man, wie der deutlich gealterte Antonio in Begleitung von Luciana und dem Dritten im Bunde, Nicola, vor Giannis Haus steht, um ihn zu besuchen, bevor der Film beginnt, die letzten 30 Jahre nachzuerzählen.

Elide (Giovanna Ralli) bemüht sich vergeblich um Gianni
Das Gianni kurz nach dem Eingestehen seiner Beziehung zu Luciana, diese wieder verlässt, weil er mit Elide (Giovanna Ralli), der Tochter seines reichen Auftraggebers (Aldo Fabrizi), der seine wenig attraktive Tochter in guten Händen wissen will, anzubandeln gedenkt, um seine wirtschaftliche Situation deutlich zu verbessern, lässt ihn als den skrupellosesten Charakter erscheinen. Leicht wäre diese Konstellation pauschal als Kapitalismus – Kritik umzusetzen, aber Ettore Scola interessiert sich mehr für die Menschen als für Ideologien. Vor allem die Entwicklung Elides, die Gianni liebt und unter seiner emotionalen Ablehnung leidet, ist ein Paradebeispiel dafür, dass auch die größten Anstrengungen, Äußerlichkeiten zu korrigieren, nichts an Gefühlen zu ändern vermögen.


Nicola in der Quizsendung
Auch wenn Scola die Thematik ernst nimmt und sich vor tragischen Aspekten nicht scheut, strahlt der Film Tempo und Leben aus und betont dabei dessen komische Aspekte. Vor allem Nicola als Filmliebhaber und Kritiker ist in seinem intellektuellen Dauereifer selbstironisch angelegt. Als bei einer Filmvorführung von „Ladri di biciclette“ (Fahrraddiebe, 1948) De Sica beschimpft wird, dass dieser damit sein eigenes Land beschmutzen würde, ist Nicola außer sich und kann selbst von seiner Frau kaum beruhigt werden. Dieses Motiv verwendet Scola mehrfach, etwa in einer der witzigsten Sequenzen, als Nicola bei einem Fernsehquiz mitmacht und als Filmkenner, kurz vor dem Hauptgewinn, bei der letzten Frage scheinbar die falsche Antwort gibt. Er ist davon überzeugt, dass seine Antwort richtig war, aber die Fernsehanstalt interpretiert die Szene anders, was Nicola nicht einmal mit fünf Klagen ändern kann. Erst zum Schluss, lässt Scola in einer dokumentarischen Szene Vittorio De Sica selbst diesen Punkt aufklären, aber inzwischen spielt es für Nicola keine Rolle mehr, dass er Recht hatte.

Das Ettore Scola den Regisseur Vittorio De Sica und seinen Film ins Zentrum dieser Diskussionen stellte, war kein Zufall, so wie dieser im Gegensatz zu Fellini auch nicht freiwillig an Scolas Film mitwirkte. Waren De Sicas neorealistische Filme der 40er und 50er Jahre in ihrer kritischen Wucht noch konsequent, änderte er seinen Stil zunehmend. Die Schwierigkeiten der kleinen Leute, derer er sich lange Zeit annahm, wurden immer mehr zum folkloristischen Bestandteil von im Kern substanzlosen Komödien („Ieri, oggi e domani“, (Gestern, heute und Morgen, 1963)). Proportional entgegengesetzt stieg seine Anerkennung im breiten Publikum. Diese Entwicklung steht symbolisch für "C'eravamo tanti amati", der vom Verlust von Idealen und Ideen handelt. Noch stellte Scola den Menschen kein generell schlechtes Zeugnis aus - gut zu erkennen an der sympathischen Figur des Antonio - aber der desillusionierte, zynische Blick, den er zwei Jahre später in „Brutti, sporchi e cattivi“ (Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen, 1976) annehmen sollte, lässt sich schon voraussehen – die Liebe ist vorbei. 

"C'eravamo tanto amati" Italien 1974, Regie: Ettore Scola, Drehbuch: Ettore Scola, Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Darsteller : Nino Manfredi, Vittorio Gassman, Stefano Satta Flores, Stefania Sandrelli, Giovanna Ralli, Aldo Fabrizi, Laufzeit : 121 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Ettore Scola:

"Se permettete parliamo di donne" (1964)
"Brutti, sporchi e cattivi" (1976)
"I nuovi mostri" (1977)
"La terrazza" (1980)

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.